Bei einer Unterredung mit Landrat Christoph von Tiedemann und dem Historiker Heinrich von Sybel philosophiert Bismarck im Januar 1875 über Liebe und Hass als Sporn zum Leben.
Eine auf dem Tische liegende Nummer der Gartenlaube, in der sich ein Bild Eduard v. Hartmanns befindet, gibt Veranlassung zu einem längeren Gespräch über Schopenhauersche und Hartmannsche Philosophie und über den Pessimismus der neueren philosophischen Richtung. Der Fürst hört anfänglich ruhig zu und bläst nur mächtige Rauchwolken von sich. Dann sagt er: „Wie kann man glauben, zum Glück geboren zu sein! Goethe hat irgendwo gesagt, wenn er alle Sekunden seines Lebens zusammenrechne, in denen er wirklich glücklich gewesen, dann käme keine halbe Stunde heraus. Und doch hat er am Leben gehangen wie jeder ordentliche Mensch. Und Goethe ist fast nur geliebt worden, selten gehaßt. Haß ist aber ein ebenso großer Sporn zum Leben, wie Liebe. Mein Leben erhalten und verschönen zwei Dinge: meine Frau und – Windthorst [Chef der katholischen Zentrumspartei]. Die eine ist für die Liebe da, der andere für den Haß.“
Christoph von Tiedemann, Sechs Jahre Chef der Reichskanzlei unter dem Fürsten Bismarck. Erinnerungen, 2., vermehrte Aufl., Leipzig 1910, S. 14f.