Diplomatenjahre
1851 bis 1862
Bevollmächtigter beim Deutschen Bundestag in Frankfurt am Main
Die unabhängigen deutschen Fürstentümer und die vier freien Städte hatten 1815 den Deutschen Bund gegründet. Seitdem entsandten sie ihre Bevollmächtigen nach Frankfurt am Main, wo seine einzige gemeinsame Institution, der Deutsche Bundestag, arbeitete. Im Mai 1851 ernannte Friedrich Wilhelm IV. Bismarck zum Preußischen Bevollmächtigten. Eigentlich war dem König die Entsendung „dieses Landwehr-Lieutenant[s]“, wie er den Diplomaten abschätzig nannte, nicht wirklich genehm. Er beugte sich aber dem Rat seines Generaladjutanten Leopold von Gerlach.
Bismarck diente zunächst als Stellvertreter des amtierenden Gesandten Theodor von Rochow, dann als dessen Nachfolger. Auch wenn er sein neues Amt „dornenvoll“ fand, stürzte er sich mit Eifer in die Arbeit und präsentierte sich als Vorreiter einer in der Öffentlichkeit bald so genannten „Realpolitik“. „Wir müssen mit den Realitäten wirthschaften und nicht mit Fictionen“, lautete sein Credo. „Wir werden Amboß, wenn wir nichts tun, um Hammer zu werden“.
Bismarcks Machtstaatsgedanken
Wichtige europäische Politiker propagierten in dieser Zeit einen Machtstaatsgedanken. Auch Bismarck folgte dieser Auffassung von Politik und erhob den Ausbau der Macht der preußischen Hohenzollern-Monarchie zu einer Frage der „Ehre“. Preußen sollte seine Juniorrolle im Deutschen Bund abstreifen und sich nicht mehr der österreichischen Habsburger-Monarchie unterordnen. Politische Gemeinsamkeiten gab es Bismarcks Ansicht nach nur dort, wo revolutionäre Gefahren für die Monarchie zu bekämpfen oder liberale Verfassungen in den Bundesstaaten zu beseitigen waren.
Erfolgreich untergrub Bismarck die Pläne Österreichs, den Deutschen Bund zu reformieren und eine mitteleuropäische Zollunion einzurichten. Weitaus schwerer fiel es ihm, Preußens Stellung in Europa aufzuwerten. Als zentrale Figur im „Schachspiel der Politik“ bewertete er dabei den Kaiser der Franzosen, Napoleon III.
Der Krimkrieg und seine Folgen
Der Krimkrieg von 1854 bis 1856 zwischen Russland einerseits, Frankreich, Großbritannien und dem Osmanischen Reich andererseits stellte Bismarcks Taktik massiv in Frage. Während er für eine Kriegsbereitschaft „nach jeder Richtung“ plädierte, schloss seine Regierung ein Bündnis mit Österreich, griff aber nicht zu den Waffen. Preußen wurde wegen dieses Zickzack-Kurses für kurze Zeit aus der Pentarchie – der Herrschaft der fünf großen europäischen Mächte – ausgeschlossen. Dennoch gehörte es am Ende zu den Nutznießern des Konflikts.
Nach der russischen Niederlage und dem Bruch der Heiligen Allianz zwischen St. Petersburg, Wien und Berlin entstand seit dem Pariser Friedenschluss von 1856 in Europa ein Machtvakuum. Die preußische Regierung unter Ministerpräsident Otto von Manteuffel verstand diese Lage ebenso wenig machtpolitisch zu nutzen wie das 1858 berufene Kabinett unter Karl Anton Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen. Um die ungebetenen Ratschläge Bismarcks nicht mehr hören zu müssen, versetzte der Fürst den Diplomaten Anfang 1859 von Frankfurt nach St. Petersburg. Die Regierung versuche ihn politisch „kalt“ zu stellen, beklagte sich Bismarck bei seiner Schwester Malwine.
„Kaltstellung“ in St. Petersburg
Kaum war Bismarck Ende März in St. Petersburg angekommen, stellte sich bei ihm ein erstaunlicher Stimmungsumschwung ein. Denn er erkannte rasch, dass die Freundschaft zwischen Preußen und Russland dank der verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Monarchen die Turbulenzen der jüngsten Vergangenheit unbeschadet überstanden hatte. Sorge bereitete ihm nur die Möglichkeit einer russisch-französischen Allianz.
Frankreichs Einmischung in den italienischen Einigungskrieg 1859 verhinderte aber eine enge Zusammenarbeit: Das Kaiserreich kämpfte an der Seite des Königreichs Sardinien-Piemont gegen Österreich, während Russland neutral blieb. Bismarck sah diesen Konflikt als „das große Loos“. Energisch riet er seiner Regierung, mit ihren Armeen nach Süden zu ziehen. Seine Gedanken ähnelten dem Programm des neuen Deutschen Nationalvereins, der einen kleindeutschen Nationalstaat mit Preußen als Führungsmacht anstrebte. Doch bei der Berliner Regierung stießen derartige Appelle auf taube Ohren.
Kurz nach dem Ende des Krieges trat Bismarck einen Heimaturlaub an, der aufgrund gesundheitlicher Probleme fast ein Jahr dauern sollte. Sein zweiter Urlaub im Sommer 1861 verlief zwar ohne Komplikationen, nach der Rückkehr an die Newa machte sich bei ihm allerdings Unzufriedenheit breit. Mitte März 1862 lud Preußens neuer Außenminister Albrecht von Bernstorff den Diplomaten nach Berlin ein, um über eine neue Verwendung zu beraten. Die Entscheidung über Bismarcks Versetzung ließ aber auf sich warten, da die Monarchie in tiefen Schwierigkeiten steckte.
Gesandter in Paris
Nach dem Tod von König Friedrich Wilhelm IV. hatte sein Bruder Wilhelm Anfang 1861 den Thron bestiegen. Seine Regentschaft stand unter einem schlechten Stern. Seit Monaten blockierte das Abgeordnetenhaus eine von der Regierung geplante Heeresreform. Bismarck beobachtete das Geschehen von St. Petersburg aus mit einer Mischung aus Unbehagen und Hoffnung. Er befürchtete einen Machtzuwachs der Opposition, liebäugelte aber damit, den Konflikt selbst als Regierungschef zu beheben. Dazu jedoch mochte sich König Wilhelm I. nicht durchringen. Anstatt Bismarck die Regierungsverantwortung zu übertragen, schickte er ihn am 22. Mai 1862 als Preußens Gesandten nach Paris.
Bismarck begab sich sofort an seinen neuen Dienstort, doch die Arbeit ödete ihn an. Zerstreuung brachten ihm lediglich mehrere Gespräche mit Napoleon III. Denn der Kaiser präsentierte sich als „eifriger Verfechter deutscher Einheitspläne“. Als der Hof und die Regierung im Juli in den Sommerurlaub aufbrachen, reiste Bismarck nach London und dann nach Biarritz. Erst am 15. September kehrte er in die französische Hauptstadt zurück. Kaum angekommen, erreichte ihn ein Telegramm, das sein Leben dramatisch ändern sollte. „Periculum in mora. Dépêchez-vous“ („Gefahr im Verzuge. Beeilen Sie sich“), telegraphierte Kriegsminister Albrecht von Roon.
Ernennung zum Ministerpräsidenten
Seit der Abreise Bismarcks von Berlin waren die Auseinandersetzungen über die Heeresreform in einen regelrechten Verfassungskonflikt umgeschlagen. Wilhelm I. spielte gar mit dem Gedanken abzudanken. Am 22. September konfrontierte er seinen soeben eingetroffenen Pariser Gesandten mit der Frage, ob er bereit sei, die Heeresreform gegen das Abgeordnetenhaus durchzusetzen. Ohne zu zögern, erklärte Bismarck die drohende „Parlamentsherrschaft“ notfalls „durch eine Periode der Dictatur“ abzuwenden. Noch am selben Tag ernannte der König den Diplomaten zum Ministerpräsidenten.
Video: Der weltgewandte Politiker
Otto von Bismarck bereiste beruflich und privat viele Länder Europas und lebte als Diplomat in Paris und St. Petersburg, wie das Video „Der weltgewandte Politiker“ zeigt. Einen Eindruck von seinen Fremdsprachenkenntnissen vermittelt noch heute eine Tonaufnahme, die einer Erfindung von Thomas Edison zu verdanken ist.