Charakter, Kleidung, Religion

    Persönlichkeit


    Charakter

    Otto von Bismarck zeichnete sich durch eine rasche Auffassungsgabe, Kombinationsfähigkeit, Entschlusskraft, die Fähigkeit zu brillanter Konversation und ein hervorragendes Gedächtnis aus. Die Kehrseite dieser Gabenfülle war, dass sie ihn oftmals zu Geringschätzung gegenüber anderen verleitete. Dieses Gefühl von Überlegenheit erschwerte es ihm auch, den geradlinigen Weg einzuschlagen, den seine Mutter für ihn vorgesehen hatte: eine klassische Karriere entweder in der Diplomatie oder beim Militär, die jedoch mit Lehrjahren und Geduld verbunden gewesen wäre. So erklärt sich das als „Orchesterbrief“ bekannt gewordene Schlüsseldokument seines Lebens, in dem er seinem Vater erläuterte: „Der preußische Beamte gleicht dem Einzelnen im Orchester; mag er die erste Violine oder den Triangel spielen: ohne Übersicht und Einfluß auf das Ganze, muß er sein Bruchstück abspielen, wie es ihm gesetzt ist, er mag es für gut oder schlecht halten. Ich will aber Musik machen, wie ich sie für gut erkenne, oder gar keine.“

     KarikaturBismarckCaprivi LustigeBlaetter1Der Konflikt der Hähne oder: Wer zuletzt kräht, kräht am besten, Karikatur von Friedrich Graetz über den Streit zwischen Otto von Bismarck und seinem Amtsnachfolger Leo von Caprivi, erschienen in: Lustige Blätter (gemeinfrei)

    Er war außerdem cholerisch und launenhaft. Diese Neigungen wuchsen, sobald sich Misserfolge andeuteten. Widerspruch duldete er nicht, schon kleine Versehen konnten gewaltige Zornesausbrüche provozieren. Missbilligt wurde dies nicht zwangsläufig. Gerade bei Männern in Führungspositionen galt dies eher als „männlich“ und wurde sogar vom Kaiser toleriert. Denn nicht einmal Letzterer blieb von den Wutanfällen des Reichskanzlers verschont. Zu seinen Mitarbeitern zu zählen, war daher ein zweischneidiges Privileg. Und wer mit ihm lebte, von dem verlangte dies erst recht viel ab. Von Szenen mit dem Choleriker blieben auch die Familienmitglieder nicht verschont.

    Die mangelnde Distanz zu seinen politischen Ämtern steigerte die Reizbarkeit des Kanzlers und endete in Schlaflosigkeit und Überarbeitung. Genau wie dies führte auch Maßlosigkeit im Genuss von Essen, Trinken und Rauchen zunehmend zu Krankheitszuständen. Außerdem entwickelte er sich zum Hypochonder, dem die Pflege durch seine Ehefrau unentbehrlich wurde.

    Als Vertreter seiner Schicht erwies sich Otto von Bismarck auch hinsichtlich eines eher kargen Lebensstils, den er bevorzugte. Abgesehen vom kulinarischen Überfluss war er typisch für den preußischen Landadel: keinerlei Luxus, spartanisch eingerichtete Räume, ein Lebensstil des Schlichten, Disziplinierten und Soldatischen. Das bestimmte auch sein Handeln im Bereich der Gutsverwaltung: Dort wirtschaftete er strikt sparsam, überwachte alles allein und verlangte von seinen Verwaltern und Inspektoren ausführliche Berichterstattung. Das Landleben behagte ihm mehr als das Leben in der Stadt.

     Da kommt Er„Da kommt Er!“, aus der Reihe „Bismarckbilder aus dem Sachsenwald“, 1892 (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

    Kleidung

    Otto von Bismarcks Kleidung entsprach adeligen Normen. In der Jugend noch etwas mehr auf den Kleidungsstil bedacht, trug er später auf dem Gut die praktische Kluft des Gutsherrn mit Mütze, Jacke oder Regenmantel und (Reit-)Stiefeln, bei seinen öffentlichen Auftritten in der Stadt hingegen die adelsübliche Uniform, zum Zeitpunkt der Entlassung jene eines Generalobersts der Kavallerie mit dem Rang als Generalfeldmarschall à la suite der Armee.

    Für die Kleidung auf dem Land war das Prinzip der Askese als elitäre Tugend maßgebend. In der Stadt informierte der Hof durch Ansagen des Oberzeremonienmeisters und des Oberhof- und Hausmarschalls über die anlassbezogene Kleiderordnung für Damen und Herren: Herren erschienen etwa in Gala mit Ordensband, als Uniformträger hatte Otto von Bismarck Paradeanzug mit Schärpe zu tragen. Nur ein einziges Mal soll er versucht haben, sich für einen gesellschaftlichen Anlass in Zivil zu kleiden – mit dem Ergebnis eines altmodischen Stils.

     Uniform Otto von Bismarck StiftungKürassieruniform Otto von Bismarcks (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

    Religion

    Otto von Bismarck war Protestant, konfirmiert von Friedrich Schleiermacher. Vor seiner Heirat erläuterte er seinem Bruder Bernhard, mit seiner Braut gehe er in „Glaubenssachen“ zwar „etwas auseinander“, aber doch „nicht so sehr als Du meinestheils glauben magst, denn mancherlei innre und äußre Ereignisse haben in letzter Zeit Veränderungen in mir hervorgebracht, durch die ich mich, was früher, wie Du weißt, nicht der Fall war, berechtigt halte, mich den Bekennern der christlichen Religion beizuzählen“.

    Pietist wie seine Ehefrau wurde er nicht, seine religiöse Bekehrung hatte aber in ihren Kreisen stattgefunden. Zu dem pietistischen Zirkel um Adolf von Thadden hatte er Zugang gefunden, intensiv wurde der Austausch über Religion mit dessen Tochter Marie von Thadden. Und nach deren frühem, plötzlichen Tod und der Heirat von Otto und Johanna von Bismarck las das Ehepaar gemeinsam in den täglichen Losungen der „Brüdergemeine“. Eine sinngebende Bedeutung erhielten Losungen genau wie Bibeltexte oder Predigten für beide auch als Argument und Antrieb in alltagspraktischen Situationen. Den Politiker bestärkten sie in seinem Sendungsbewusstsein, etwa wenn er gegenüber seiner Frau die nächsten politischen Karriereschritte als Dienst für Preußen rechtfertigen wollte. Und sie rüsteten ihn im Krieg mit der erforderlichen göttlichen Weihe und symbolischer Autorität.

     LosungsbuchLosungen, Buch aus dem Besitz von Otto und Johanna von Bismarck (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)