Das Hamburger Bismarck-Denkmal
Eine Einordnung
Seit dem Sommer 1906 steht in Hamburg das weltweit größte Bismarck-Denkmal. Die Granitblöcke des Sockels und der fast fünfzehn Meter hohen Figur ragen zusammen 34 Meter hoch in den Stadthimmel. Allein der barhäuptige Kopf erreicht mit 1,83 Meter Höhe fast die Körpergröße Bismarcks.
Das maßlose Format und die expressionistischen Züge des einsamen Helden aus der Werkstatt Hugo Lederers polarisierten bereits die Zeitgenossen. Zahlreiche Stimmen konnten mit der kahlköpfigen Rolandsfigur wenig anfangen. Der Kulturhistoriker Aby Warburg war hingegen von der modernen Umsetzung angetan. Heutigen Kunsthistorikern erscheint das Denkmal als „ein bizarrer Aufbruch in die Moderne“ (Kai Krauskopf) und Ausdruck der „Monumentalität der Moderne“ (Jörg Schilling). Kalt ließ und lässt der Koloss also keinen. Am ehesten stimmten die Nationalsozialisten mit der kraftstrotzenden Virilität der Figur überein, weshalb wahrscheinlich auch die Wände der im Sockel befindlichen Bunkerräume aus dem Zweiten Weltkrieg mit NS-Symbolen ausgemalt sind. Deren Urheber sind bislang unbekannt.
Auffällig und unbeachtet
Von solchen Aneignungen wollte man nach 1945 nichts mehr wissen. Die Sockelräume blieben der Öffentlichkeit unzugänglich und in der Wahrnehmung der Hamburger gehörte das Monument bald wieder zur innerstädtischen Architekturkulisse, die im Alltag wenig beachtet wurde. 1960 erfolgte der Eintrag in die Liste der Hamburger Denkmäler. Auf Postkarten ist es bis heute neben der St. Michaelis-Kirche („Michel“), den Landungsbrücken und der Alsterfontäne eine typische Sehenswürdigkeit.
Für das Hamburger Publikum stellten sich die Dinge aber bald anders dar: Weder der Denkmalstatus noch der Platz im städtischen Panorama führten zu einer erkennbaren Fürsorge durch die zuständigen Behörden. Von der martialischen Aussage mehr unangenehm berührt als patriotisch ergriffen, ließ man das Denkmal einwachsen. Die Baumwipfel am Rand des zunehmend verwahrlosten Alten Elbparks waren bald so hoch, dass der vom Heiligengeistfeld zur Reeperbahn laufende Besucher des Hamburger Doms nur noch Teile des Riesen sah und die Sichtachse vom Denkmal zur Elbe unterbrochen war. Dabei war diese einst ein zentrales Motiv bei der Errichtung gewesen.
Rolandsfigur symbolisiert kaufmännische Freiheit
Für die Denkmalsstifter war die schwertbewehrte Rolandsfigur als „Wacht am Meer“ der hanseatische Ausdruck der „Wacht am Rhein“. Gleichzeitig stellte er auch den verehrten Gründer des deutschen Nationalstaats dar, von dessen Vereinheitlichungen und generellem wirtschaftlichen Aufschwung die Kaufleute und Reeder nach einigen Reibereien rund um den Zollanschluss der Hansestadt profitiert hatten. Als modernistisch-martialisch adaptierte Rolandsfigur, die Markt- und Handelsrechte und damit kaufmännische Freiheit garantierte, blickt er – so die Begrünung es zulässt – elbabwärts in Richtung Nordsee. Damit hatten die Bauherren bei der Einweihung 1906 Großbritannien in den Blick genommen, mit dessen Flotte das Deutsche Reich in einen imperialistischen Überbietungswettbewerb eingetreten war. Die Bismarck-Figur wandte sich aber auch den übrigen europäischen und überseeischen Handelspartnern zu – die den Hamburger Wohlstand bedrohende Kontinentalsperre der Napoleonzeit lag erst 100 Jahre zurück.
Kolonialismus rückt in den Blick
Dass Nation und Nationalismus dabei in Dimensionen mitschwangen, die heute überwunden sind, und dass globaler Handel und Schifffahrt auch Kolonialismus bedeuteten, ist unstrittig. Diese beim Blick auf das Denkmal nur schwer zu erkennenden Bestandteile der Politik Bismarcks wie der Denkwelten seiner späteren Verehrer sollen zukünftig in einer historisch-kritischen, erinnerungspolitischen Kommentierung und Kontextualisierung deutlich gemacht werden. Da Bismarck keinen Tropenhelm trägt und auch keine Weltkugel balanciert, sondern als schwer zu dechiffrierender Roland in einem Park an der Elbe steht, erschließt sich die Bildaussage kaum noch – eine Kommentierung ist daher dringend notwendig.
Geplant: ein Störgeräusch
Der Deutsche Bundestag und die Hamburger Bürgerschaft haben mit ihren Beschlüssen zur Sanierung des denkmalgeschützten Denkmals (für Historiker und Kunsthistoriker in erster Linie eine Quelle) den Anstoß zu dieser zivilen Einhegung gegeben – sei es mit permanenten inhaltlichen Kommentierungen vor Ort und im benachbarten Museum für Hamburgische Geschichte oder mit künstlerisch-kreativen Aneignungen, die die bisherige Bildaussage verändern und ein „Störgeräusch“ erzeugen sollen (Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda). Dadurch würden anders als bei einer bloßen Architektur-Sanierung die Ambivalenzen des heutigen Erinnerns an Bismarck und an den Bismarck-Mythos gegenüber der einstigen Verehrung als Teil der Hamburger Stadtgeschichte sichtbar – für Hamburger und Besucher aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Ländern. Wenn ein mehr als 100 Jahre altes Denkmal auf diese Weise zum Nachdenken über Bismarck und jene, die ihn durch mythische Darstellung in Erinnerung halten wollten, anregt, wäre das ein Gewinn für die historische Bildung.