Preußischer Ministerpräsident

    1862 – 1871

     

    Am 22. September 1862 empfing König Wilhelm I. auf Schloss Babelsberg bei Potsdam Otto von Bismarck, der aus Paris herbeigeeilt war. Er sollte helfen, einen Konflikt zu lösen, der seit 1860 zwischen Regierung und der Zweiten Kammer des Landtags (Abgeordnetenhaus) über eine Modernisierung der Streitkräfte schwelte. Für den Fall einer Niederlage der Regierung erwog der König sogar seine Abdankung. Diesem gegenüber erklärte sich Bismarck als „treuer kurbrandenburgischer Vasall“ bereit, die Heeresreform notfalls auch gegen den Willen der Mehrheit des Abgeordnetenhauses durchzusetzen. Wilhelm I., der sich in Bezug auf Bismarcks Person immer noch unsicher war, aber über keine personelle Alternative verfügte, übertrug ihm am darauffolgenden Tag vorläufig die Leitung des Staatsministeriums.

    Konfliktminister

    Der neue Regierungschef gab sich gegenüber den Liberalen zunächst kompromissbereit: In seiner „Eisen-und-Blut“-Rede vom 30. September 1862 bot er ihnen eine Partnerschaft bei der Lösung der „nationalen Frage“ an. Als Gegenleistung verlangte er dafür die Bewilligung der für die Heeresreform notwendigen Haushaltsmittel. Doch die Liberalen missdeuteten das Angebot als Androhung einer Gewaltherrschaft nach innen sowie einer kriegerischen Politik nach außen und lehnten Bismarcks Angebot entschieden ab. Nur wenige Tage darauf, am 8. Oktober, erfolgte seine definitive Ernennung zum Ministerpräsidenten und Außenminister durch Wilhelm I.

    Koenig Wilhelm I von PreussenKönig Wilhelm I. von Preußen (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

    Gegen den Widerstand der liberalen Mehrheit des Abgeordnetenhauses setzte Bismarck die Heeresreform um und rechtfertigte dies mit einer fragwürdigen Interpretation der preußischen Verfassung. Da sie eine Nichteinigung zwischen Regierung und Landtag im Gesetzgebungsverfahren nicht vorsah, meinte er diese „Lücke“ dazu nützen zu dürfen, sein Regierungsprogramm auch ohne Zustimmung der Abgeordneten durchzusetzen, denn das „Staatsleben“ könne „nicht einen Augenblick stillstehen“, wie Bismarck im Januar 1863 im Parlament erklärte. Nach dem Scheitern aller Kompromissversuche regierte er in der Folgezeit ohne vom Landtag gebilligten Haushalt. Aus dem Heereskonflikt entwickelte sich damit eine Verfassungskrise, die Bismarcks innenpolitischen Spielraum einschränkte. Im Mai 1863 führte er daher mit dem Führer des „Allgemeinen deutschen Arbeitervereins“ (ADAV) Ferdinand Lassalle Gespräche über eine gegen die Liberalen gerichtete Kooperation zwischen Regierung und Arbeiterbewegung. Diese Idee verlief jedoch im Sand und konnte später nicht wieder aufgegriffen werden – Lassalle verstarb am 31. August 1864 an den Folgen eines Duells.

     Ferdinand Lassalle 1 Otto von Bismarck StiftungFerdinand Lassalle (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

    Erfolgreiche Außenpolitik für Preußen

    Trotz der scharfen Frontstellung von Regierung und Liberalen in der Frage der Heeresreform kam Bismarck der Opposition auf wirtschaftlichem Gebiet wie auch im Hinblick auf die Lösung der „nationalen Frage“ entgegen. Die liberale und nationale Bewegung in Deutschland war seit dem Ende der 1850er-Jahre erstarkt und Bismarck griff wesentliche Forderungen der Nationalbewegung auf. Dabei ging es ihm allerdings weniger um die Einigung Deutschlands, sondern vor allem um die Festigung der preußischen Machtstellung in Norddeutschland sowie um die Beseitigung der Vorherrschaft Österreichs im Deutschen Bund. Zu Beginn sowie im Herbst des Jahres 1863 gelang ihm denn auch die Vereitelung zweier deutschlandpolitischer Initiativen Österreichs. Außerdem sicherte er sich für Preußen Russlands zukünftiges Wohlverhalten, indem er die Niederschlagung eines Aufstands in Russisch-Polen guthieß. In einem Geheimabkommen vom 8. Februar 1863 (Alvenslebensche Konvention) versprachen sich die Regierungen in Berlin und St. Petersburg gegenseitig militärische Unterstützung bei der Bekämpfung polnischer Rebellen.

    Im selben Jahr brach der schon lange schwelende Konflikt mit Dänemark um die nördlich der Elbe gelegenen Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg aus. Diese waren in Personalunion mit der dänischen Krone verbunden. Das Londoner Protokoll von 1851 untersagte eine einseitige Änderung der bestehenden Rechtsverhältnisse. Doch Dänemark strebte mittels eines neuen Staatsgrundgesetzes die Einverleibung Schleswigs an. Die diplomatischen Auseinandersetzungen über diese Frage führten 1864 zum Deutsch-Dänischen Krieg. Nach der militärischen Niederlage Dänemarks wurden die Herzogtümer – deren Angliederung an Preußen Bismarck bereits ins Auge gefasst hatte – der gemeinsamen Verwaltung Österreichs und Preußens unterstellt. Beide Mächte hatten im Kampf gegen Dänemark zusammengearbeitet und vereinbarten in der Gasteiner Konvention vom 14. August 1865, die Verwaltung nunmehr getrennt auszuüben. Zugleich kaufte Preußen das bis dahin neben Holstein von Österreich mitverwaltete Lauenburg. Am 15. September 1865 wurde Bismarck als Belohnung für seine Erfolge in den erblichen Grafenstand erhoben.

    Trotz des gemeinsamen Vorgehens gegen Dänemark war der preußisch-österreichische Konflikt um die Vorherrschaft im Deutschen Bund nicht beigelegt. Bemühungen um einen friedlichen Ausgleich scheiterten, weil Österreich an seinem Führungsanspruch festhielt und Preußen auf Gleichberechtigung pochte.

    Die antiösterreichische und antiliberale Politik Bismarcks nahm der Student Ferdinand Cohen-Blind am 7. Mai 1866 in Berlin zum Anlass, auf ihn ein Attentat zu verüben. Der preußische Ministerpräsident überstand es unverletzt.

     

     Preussen Oesterreich Dualismus 1864Die Konkurrenz zwischen Preußen und Österreich im Deutschen Bund beschäftigte Politik und Öffentlichkeit viele Jahre lang. Die Karikatur zeigt eine allzu pragmatische Lösung für die Teilung des Vorsitzes im Deutschen Bund; aus: Münchener Punsch. Ein humoristisches Originalblatt von M. E. Schleich, 17. Band, Nr. 7, 14. Februar 1864

    Auf dem Weg zur nationalstaatlichen Einigung

    Der Konflikt um die Vorherrschaft in Deutschland wurde schließlich im „Bruderkrieg“ von 1866 zugunsten Preußens entschieden. Als Folge des Prager Friedens vom 23. August 1866 annektierte Preußen das Königreich Hannover ebenso wie das Kurfürstentum Hessen (-Kassel), das Herzogtum Nassau und die Freie Stadt Frankfurt. Die Herzogtümer Schleswig und Holstein fielen 1867 als neue Provinz Schleswig-Holstein ebenfalls an Preußen. Es erklärte sich aber zur Respektierung der Mainlinie bereit, um Frankreichs Misstrauen zu besänftigen. Österreich akzeptierte hingegen die Auflösung des Deutschen Bundes sowie die Neuordnung Deutschlands nördlich des Mains.

    Infolge der beiden siegreichen Feldzüge und der sich abzeichnenden Errichtung eines norddeutschen Bundesstaates unter preußischer Führung schwächte sich die innenpolitische Krise in Preußen ab. Während sich die altkonservativen Kräfte von Bismarck abwandten, weil ihnen dieser zu revolutionär erschien, erkannten frühere Kritiker Bismarcks aus den Reihen der Liberalen die außenpolitischen und militärischen Leistungen der Regierung an und signalisierten ihre Unterstützung für den Kurs des Ministerpräsidenten.

    Am 3. September 1866 billigte das Abgeordnetenhaus rückwirkend die Staatshaushalte und die getätigten Militärausgaben seit 1862. Gleichzeitig erhielt das Kabinett die verlangte Indemnität (Straffreiheit), sie musste mithin keine rechtliche Verantwortung für ihr verfassungswidriges Handeln der vergangenen Jahre übernehmen. Im Gegenzug versprach die Regierung, das parlamentarische Haushaltsrecht künftig zu achten. Mit diesem Kompromiss endete die Verfassungskrise in Preußen. Letztlich war es Bismarck gelungen, die sich abzeichnende Parlamentarisierung des Regierungssystems zumindest auszubremsen, während die Liberalen hofften, dieses durch eine Zusammenarbeit mit der Regierung doch noch reformieren zu können.

     Norddeutscher BundDer Preussische Staat, die Staaten des Norddeutschen Bundes und die übrigen Zollvereinsstaaten. Stahlstich mit kolorierten Grenzen von W. Kartz und F. Kern nach einer Vorlage von Heinrich Johann Samuel Kiepert und Adolf Gräf, um 1870 (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

    Kanzler des Norddeutschen Bundes

    Während eines Erholungsurlaubs in Putbus auf der Insel Rügen Anfang Oktober 1866 arbeitete Bismarck die Grundzüge der Verfassung für einen norddeutschen Bundesstaat aus. Am 1. Juli 1867 gründete Preußen mit den übrigen Staaten nördlich des Mains den Norddeutschen Bund, zu dessen Kanzler er am 14. Juli von König Wilhelm I. ernannt wurde. Im Monat zuvor hatte er das in Hinterpommern gelegene Gut Varzin aus Mitteln erworben, die ihm am 23. April 1867 vom Landtag als Anerkennung für seine Verdienste bewilligt worden waren.

    Preußen nahm rund vier Fünftel des Territoriums sowie 80 Prozent der Bevölkerung des 22 Gliedstaaten mit knapp 30 Millionen Einwohnern umfassenden Norddeutschen Bundes ein. Aus Sicht der Nationalbewegung sollte sich dieser möglichst bald mit den süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden zusammenschließen. Für Bismarck dagegen lag die Lösung der deutschen Frage noch in weiter Ferne: „Erreicht Deutschland sein Ziel noch im 19. Jahrhundert“, beteuerte er 1868 zurückhaltend, „so erscheint mir das etwas Großes, und wäre es in zehn oder gar fünf Jahren, so wäre das etwas Außerordentliches.“

     Visitenkarte Bismarck Norddeutscher BundDie Visitenkarte Otto von Bismarcks als Kanzler des Norddeutschen Bundes (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

    „Reichsgründer“

    Bismarck empfand die deutsche Einheit nie als Herzenssache, und sie wurde von ihm auch nicht planmäßig herbeigeführt. Der bereits eingeleitete Einigungsprozess musste aus seiner Sicht weiterhin von Staat und Regierung gelenkt sowie möglichst „europaverträglich“ gestaltet werden. Insbesondere Frankreich galt es zu besänftigen. Dieses sah jedoch seine Rolle als Führungsmacht in Europa durch das preußische Vormachtstreben derart gefährdet, dass es Preußen im Juli 1870 nach diplomatischen Streitigkeiten um die spanische Thronfolgefrage den Krieg erklärte. Sechs Wochen später war Kaiser Napoleon III. besiegt und gestürzt. Doch die Suche nach einem Weg aus dem Krieg währte noch acht Monate. Bismarcks Forderung nach einer Abtretung von Elsass und Lothringen verhinderte zunächst einen raschen Friedensschluss, erleichterte jedoch seine Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten über die Bildung eines Deutschen Reiches, das formell am 1. Januar 1871 ins Leben trat. Wenige Tage später, am 18. Januar, proklamierten die deutschen Fürsten König Wilhelm I. von Preußen im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles zum Deutschen Kaiser. Am 10. Mai unterzeichneten Bismarck und der französische Außenminister Jules Favre den Frieden von Frankfurt.

     Feder 1Michael ZapfMit dieser Feder unterzeichnete Otto von Bismarck am 10. Mai 1871 den Friedensvertrag mit Frankreich. Er hatte sie Ende Oktober 1870 vom Pforzheimer Juwelier Bissinger geschenkt bekommen. (© Otto-von-Bismarck-Stiftung / Fotograf: Michael Zapf)