Fluchthelfer

    Im Oktober 1855 erzählt Bismarck dem Diplomaten Robert von Keudell, wie er einem polizeilich gesuchten Mann zur Flucht verholfen habe.

    Ich erhielt vor kurzem von Berlin den Auftrag, die hiesige Polizei zu veranlassen, einen politisch kompromittierten Jüngling zu verhaften. Nun ist es wirklich nicht wohlgethan, einen fähigen jungen Menschen, der auf einen falschen Weg geraten ist, durch Verfolgung und Bestrafung als Umstürzler abzustempeln. Es ist sehr möglich, daß er von selbst zur Vernunft kommt, wie es manchen Achtundvierzigern ergangen ist. Ich erstieg also frühmorgens die drei Treppen zu der Wohnung des jungen Mannes und sagte ihm: „Reisen Sie so schnell als möglich ins Ausland.“ Er sah mich etwas verwundert an. Ich sagte: „Sie scheinen mich nicht zu kennen; vielleicht fehlt es Ihnen auch an Reisegeld. Nehmen Sie hier einige Goldstücke und machen Sie, daß Sie schnell über die Grenze kommen, damit man nicht sagt, daß die Polizei wirksamer operiert als die Diplomatie.“ Am folgenden Tage hat die Polizei ihn natürlich nicht mehr gefunden.

    Robert von Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck. Erinnerungen aus den Jahren 1846 bis 1872, 3. Aufl., Stuttgart 1902, S. 50f.