Rede im Preußischen Abgeordnetenhaus, Berlin
1. September 1866
Kurz nach dem Sieg im Krieg gegen Österreich schlägt Bismarck dem Parlament eine Beilegung des Verfassungskonflikts über die Heeresvermehrung vor. In einer „Indemnitätsvorlage“ (Schadloshaltung) bittet er um die nachträgliche Zustimmung zu der seit 1862 ohne haushaltsrechtliche Grundlage betriebenen Regierungspolitik.
Je aufrichtiger die königliche Regierung den Frieden wünscht, um so mehr fühlen ihre Mitglieder die Verpflichtung, sich jedes Eingehens auf retrospektive Kritik zu enthalten, sei es Abwehr, seien es Angriffe. Wir haben in den letzten vier Jahren unseren Standpunkt von beiden Seiten häufig mit mehr oder weniger Bitterkeit oder Wohlwollen vertreten, keiner hat es in den vier Jahren vermocht, den andern zu überzeugen, jeder hat geglaubt, recht zu handeln, wenn er so handelte, wie er es tat. Ein Friedensschluß würde auch in den auswärtigen Verhältnissen schwerlich jemals zustande kommen, wenn man verlangte, daß ihm von einem von beiden Teilen vorhergehen sollte das Bekenntnis: „Ich sehe es jetzt ein, ich habe unrecht gehandelt.“ Wir wünschen den Frieden, nicht weil wir kampfunfähig sind in diesem inneren Kampf; im Gegenteil, die Flut fließt in diesem Augenblick mehr zu unseren Gunsten als vor Jahren; wir wünschen ihn auch nicht, um einer etwaigen künftigen Anklage auf Grund eines künftigen Verantwortlichkeitsgesetzes zu entgehen; ich glaube nicht, daß man uns anklagen wird, ich glaube nicht, daß, wenn es geschieht, man uns verurteilen wird, und wie dem auch sein möge: – man hat dem Ministerium viele Vorwürfe gemacht, den der Furchtsamkeit noch nicht! (Heiterkeit.)
Wir wünschen den Frieden, weil unserer Meinung nach das Vaterland ihn im gegenwärtigen Augenblicke in höherem Grade bedarf, als früher; wir wünschen ihn und suchen ihn namentlich deshalb, weil wir glauben, ihn in gegenwärtigem Moment zu finden; wir hätten ihn früher gesucht, wenn wir früher hätten hoffen können, ihn zu finden; wir glauben ihn zu finden, weil Sie erkannt haben werden, daß die königliche Regierung den Aufgaben, welche auch Sie in Ihrer Mehrzahl erstreben, nicht so fern steht, wie Sie vielleicht vor Jahren gedacht haben, nicht so fern steht, wie das Schweigen der Regierung über manches, was verschwiegen werden mußte, Sie zu glauben berechtigen könnte. (Bravo!) Aus diesem Grunde glauben wir den Frieden zu finden und suchen ihn ehrlich; wir haben Ihnen die Hand dazu geboten, und der Kommissionsvortrag gibt uns die Bürgschaft, daß Sie in diese Hand einschlagen werden. Wir werden dann die Aufgaben, die uns zu lösen bleiben, mit Ihnen in Gemeinschaft lösen; ich schließe von diesen Aufgaben Verbesserungen der inneren Zustände und Erfüllung der in der Verfassung gegebenen Zusagen, keineswegs aus. (Lebhaftes Bravo von allen Seiten.) Aber nur gemeinsam werden wir sie lösen können, indem wir von beiden Seiten demselben Vaterlande mit demselben guten Willen dienen, ohne an der Aufrichtigkeit des andern zu zweifeln. (Bravo!)
In diesem Augenblick sind aber die Aufgaben der auswärtigen Politik noch ungelöst, die glänzenden Erfolge der Armee haben nur unseren auf dem Spiele stehenden Einsatz gewissermaßen erhöht, wir haben mehr zu verlieren, als vorher, aber gewonnen ist das Spiel noch nicht; je fester wir im Inneren zusammenhalten, desto sicherer sind wir, es zu gewinnen. Wenn Sie sich im Auslande umsehen, wenn Sie die Wiener Zeitungen durchgehen, und zwar diejenigen, von denen angenommen wird, daß sie die Meinungen der kaiserlichen Regierung vertreten, so werden Sie dieselben Äußerungen des Hasses und der Aufregung gegen Preußen finden, die vor dem Kriege dort zu lesen waren, und die nicht wenig dazu beigetragen haben, den Krieg für die kaiserliche Regierung zu einer Notwendigkeit zu machen, von der die Regierung nicht zurücktreten konnte, wenn sie auch gewollt hätte. Sehen Sie auf das Verhalten der Völker in Süddeutschland, wie sie sich in den Armeen vertreten finden; da ist der Grad von Versöhnlichkeit und von Erkenntnis einer gemeinsamen Aufgabe des gesamten Deutschlands gewiß nicht vorhanden, solange bayerische Truppen aus den Eisenbahnwagen meuchlings auf preußische Offiziere schießen. Sehen Sie sich die Haltung der einzelnen Regierungen gegenüber den neu zu bildenden Einrichtungen an; sie ist bei einigen befriedigend, bei anderen widerstrebend, gewiß aber ist, daß in Europa Sie kaum eine Macht finden werden, welche die Konstituierung dieses neuen deutschen Gesamtlebens in wohlwollender Weise förderte, welche nicht das Bedürfnis hätte, in ihrer Weise sich an dieser Konstituierung zu beteiligen; sei es auch nur, um einem der mächtigeren Bundesgenossen, wie Sachsen, die Möglichkeit nicht zu verkümmern, dieselbe Rolle noch einmal spielen zu können, wie im letzten Kriege. (Sehr wahr!)
Deshalb, meine Herren, ist unsere Aufgabe noch nicht gelöst, sie erfordert die Einigkeit des gesamten Landes der Tat nach und dem Eindruck nach.
Wenn man oft gesagt hat: „Was das Schwert gewonnen hat, hat die Feder verdorben“, so habe ich das volle Vertrauen, daß wir nicht hören werden: Was Schwert und Feder gewonnen haben, ist von dieser Tribüne vernichtet worden! (Lebhaftes Bravo!)