Gespräche in einer parlamentarischen Soiree, Berlin

    5. Mai 1872


    Bismarck äußert sich ernst und verstimmt über die allgemeine politische Lage. „Mein Schlaf ist keine Erholung, ich träume weiter, was ich wachend denke, wenn ich überhaupt einschlafe. Neulich sah ich die Karte von Deutschland vor mir, darin tauchte ein fauler Fleck nach dem anderen auf und blätterte sich ab.“

    Bismarcks Soiree mäßig besucht, zehn bis zwölf Parlamentsdamen anwesend. Meine Frau, welche vor vierzehn Tagen dagewesen war, nicht mit. Bismarck habe ich nie so ernst und verstimmt gesehen wie gestern. Er sprach erst privatim und dann vor allem seine Verstimmung aus: „Mein Oel ist verbraucht, ich kann nicht mehr. Es ist zu viel, allein mit solchen Kollegen und gegen den Einfluß der Königin zu arbeiten. Man hat in zehn Jahren gezeigt, was Deutschland sein könnte, und nun dieses Auftreten des Parlaments in der Salzsteuer, in dem Militärgesetzbuch, dieses Verkennen der Verhältnisse! In ein paar Jahren schießen Soldaten nicht mehr. Wir machen jetzt in Europa die Ereignisse, und tun wir nichts, so geschieht nichts. Ein anderer bekommt vielleicht ebenso schnellen Einfluß nach außen. Den Reichstag auflösen, wozu?“

    Ich hatte den Eindruck, daß er nie ernstlicher mit Abschiedsgedanken umgegangen ist, wie damals. Die Verhandlungen in der Kommission für das Militärgesetzbuch, in welcher Graf Moltke, Prinz Wilhelm von Baden als Mitglieder saßen, gingen nur mühsam vorwärts, und besonders war die Frage des strengen Arrests, der Latten usw. ein Stein des Anstoßes. Bismarck hatte den Militärs, Kriegsminister von Kamecke, von Lettow, der Hauptvertreter in der Kommission war, geraten, die Punkte, in welchen sie glaubten nachgeben zu können, gleich zuzugeben. Diese aber hatten gemeint, gewissermaßen vorschlagen zu müssen, da ihnen doch noch manches würde abgehandelt werden. Daraus entstanden Weiterungen und Mißhelligkeiten.

    Der Coup, den Kardinal Hohenlohe zum Botschafter in Rom zu ernennen, endete damals mit der Ablehnung seitens des Papstes. Bismarck würde vielleicht die Situation ähnlich wie die Benedettiszene in Ems ausgenutzt haben, und die gerade zur Diskussion stehende Jesuitenpetition hätte vielleicht eine geeignete Handhabe geboten, wenn eben nicht der unüberwindliche Widerstand der Kaiserin dagegen gearbeitet hätte.

    Bismarck machte den Eindruck des gefesselten Prometheus. „Mein Schlaf ist keine Erholung, ich träume weiter, was ich wachend denke, wenn ich überhaupt einschlafe. Neulich sah ich die Karte von Deutschland vor mir, darin tauchte ein fauler Fleck nach dem anderen auf und blätterte sich ab. Warum ist Ihre Frau nicht mit? Sie sagt auch wohl: einmal und nicht wieder?“