Reden im Reichstag, Berlin
8. Mai 1879
Bismarck verteidigt die neue Zollpolitik, von der Landwirtschaft und Industrie, Stadt und Land profierten. Laskers Gegenargumente seien nicht sachlich, sondern „ad hominem“, aber daran sei er, Bismarck, gewöhnt.
Ich hatte heute früh noch nicht die Absicht, in der allgemeinen Debatte wiederum das Wort zu ergreifen, weil meine Überzeugung, und ich glaube, auch diejenige der Mehrzahl der Zuhörer, durch die Gegengründe, die gegen meine Darlegungen seitdem angeführt worden sind, nicht erschüttert war; die meisten derselben bestanden, wie ich das gewohnt bin, weniger in einer Kritik der Sache als in argumentis ad hominem (Beweisführung bezogen auf den Menschen), in Demonstrationen gegen meine Person,
(Ah! Ah!)
und es ist mir das ja ziemlich gleichgültig. - Ja, meine Herren, an dieser Stelle, von welcher das „Ah!“ ausgeht, sind diese Demonstrationen zu Hause, und es veranlaßt mich dies, nochmals Akt davon zu nehmen, damit man weiß, von woher dergleichen kommt und daß von dort aus die sachlichen Diskussionen mit oratorischen Ausschmückungen betrieben werden, die den Frieden und die Verständigung zu fördern nicht geeignet sind, es ist das gerade in der Gegend der Fall, wo diese Interjektionen mich eben unterbrochen haben, und ich sage also, ich hatte darauf so sehr viel Wert nicht gelegt, weil ich es der öffentlichen Meinung besser selbst überlasse, ob sie über meinen Verstand und meinen Charakter günstiger denken will oder nicht und ob sie ihr Urteil über mich von meinen politischen Gegnern entnehmen will oder nicht. Ich bin ja, wie Sie wissen, leider in der Presse, und zwar von verschiedenen Parteien, einem solchen Maße von groben Ehrenkränkungen, von lügenhaften Verleumdungen ausgesetzt gewesen, daß ich in der Beziehung doch ziemlich abgehärtet bin, und hier im Reichstage, auch dort, wo die Herren unruhig werden, kommt ja dergleichen nicht vor, aber natürlich, die mildere, wohlwollende Kritik, der ich hier unterzogen werde im Vergleich zu der Presse, gegen die bin ich ziemlich abgehärtet. Ich würde also auch darauf nicht reagiert haben, wenn ich nicht heute, ohne die Absicht herzukommen, benachrichtigt worden wäre, daß der Herr Abg. Lasker über mich verschiedene Bemerkungen gemacht hat, mit der Gesinnung für mich, die ich kenne und zu schätzen weiß, die aber doch ein Maß voll Verstimmung mir gegenüber zeigt, welches ich gern mildern möchte, wenn es mir gelingt. Ich kann sonst nach dem Maß der Verstimmung, welches aus der Haltung des Herrn Lasker spricht, immer einen günstigen Barometerstand für meine Politik und für die Politik, die ich glaube im Namen des Reiches verfolgen zu sollen, entnehmen, und insofern könnte mich das Symptom ja beruhigen, wenn nicht meine persönliche Vorliebe für einen so langjährigen Gegner, von dem ich schließlich sagen kann nach jenem alten französischen Liede: On se rappelle avec plaisir les coups de poing qu’on s’est donnés (man erinnert sich gern an die Schläge, die man ausgetauscht hat), mich das Bedürfnis empfinden ließe, seine Meinung in einigen Beziehungen richtigzustellen.
Der Herr Abgeordnete hat, wenn die Notizen, die ich bekommen habe, richtig sind, gesagt: Mein Schriftwechsel mit dem Baron v. Thüngen (vom April 1879, den Bismarck sogleich sehr gezielt hatte veröffentlichen lassen) habe alles überholt, was bisher an agrarischen Extravaganzen geleistet sei. Liegt darin nicht eine kleine rhetorische Extravaganz eher als die agrarische, die mir vorgeworfen wird? Ich habe mich zu dem Schreiben nicht bloß berechtigt, sondern auch verpflichtet gehalten. Die Nation hat das Recht zu wissen, wie ich über die einzelnen Fragen denke, und ich freue mich, wenn die Kenntnis hiervon eine möglichst öffentliche und verbreitete wird, denn ich habe darüber nichts zu verbergen. Ich habe mich ausgesprochen gegenüber den sehr scharf akzentuierten Klagen des Baron v. Thüngen über die Vernachlässigung der landwirtschaftlichen Interessen in der Tariftrage, um ihm nachzuweisen, daß ich unter Umständen eine höhere Verzollung der landwirtschaftlichen Produkte gewünscht hätte – in Bezug auf das Getreide nicht viel höher, denn der Zoll für Getreide, namentlich für die Getreidegattung, die am meisten als Nahrungsmittel dient, für den Roggen, soll meiner Meinung nach kein Schutzzoll, sondern ein Finanzzoll sein, und er wird geradesogut vom Auslande gezahlt werden, wie heute die Mainzer Lederfabrikanten sich beschweren, daß sie jetzt für ihren Import in Spanien einen Zoll bezahlen müssen, von dem sie früher frei gewesen sind, und beim Getreide noch viel mehr, weil wir eine so außerordentliche Konkurrenz für den Import von wohlfeilem Getreide nach Deutschland haben. Indessen, das gehört ja in die Spezialdebatte über die Getreidezölle. Wenn ich einem Korrespondenten, der zu mir im Namen von 11000 kleinen Grundbesitzern spricht, Rede stehe und ihm Auskunft gebe über die Motive, die mich geleitet haben, so ist dergleichen früher doch von niemand angefochten worden, und ich glaube, der Herr Abg. Lasker als Jurist sollte doch auch wissen, daß man kein Urteil ohne Gründe gibt. Früher hat man es immer am Minister zu schätzen gewußt, wenn er nicht zugeknöpft war und seine Meinung offen aussprach in betreff der Interessen des Landes, auf deren Wohl und Wehe er irgendeinen Einfluß haben könnte, und ich sollte meinen, man sollte das an mir schätzen, anstatt es als eine „agrarische Extravaganz“ zu bezeichnen, als einen „Krieg“ zwischen Landwirtschaft und Industrie, zwischen Land und Stadt. Ja, das sieht doch noch anders aus! Man nennt gern jeden Kampf Krieg, der einem unangenehm ist. Es handelt sich hier um eine Rivalität der Interessen und um ein Ringen der Interessen miteinander, noch lange nicht um Krieg, es bleibt zwischen Landsleuten, und der Bürgerkrieg, der der Phantasie des Herrn Lasker vorschwebt, ist nicht da.
Wenn ich es nun mir zur Aufgabe stelle, in diesem Kampf der Interessen der Seite, die bisher meines Erachtens unterlegen hat, der Seite der Landwirtschaft und des Grundbesitzes – ich bitte das Herrn Lasker wohl zu erwägen, ich habe neulich fast nie von der Landwirtschaft, ich habe vorwiegend von städtischem und ländlichem Grundbesitz gesprochen, und der städtische Häuserbesitz leidet unter den Kalamitäten der Steuer, auf die ich nachher zurückkomme, ebenso wie der ländliche – wenn sich da ein Minister findet, der seinerseits für den Teil, der bisher in diesem Kampf zurückgedrängt wird, der unterlegen hat, der Amboß gewesen ist seit fünfzig Jahren und sich nun einmal gegen die Hämmer sträubt, wenn für den ein Minister eintritt, sollte man das dankend anerkennen und nicht sagen, ich triebe die Finanzpolitik eines Besitzers. Ja, ich kann dem Herrn Abg. Lasker ebensogut sagen, er treibt die Finanzpolitik eines Besitzlosen; er gehört zu denjenigen Herren, die ja bei der Herstellung unserer Gesetze in allen Stadien der Gesetzmachung die Majorität bilden, von denen die Schrift sagt: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie weben nicht, sie spinnen nicht, und doch sind sie gekleidet - ich will nicht sagen wie, aber jedenfalls sind sie gekleidet.
(Heiterkeit)
Die Herren, die unsere Sonne nicht wärmt, die unser Regen nicht naß macht, wenn sie nicht zufällig ohne Regenschirm ausgegangen sind, die die Mehrheit bei uns in der Gesetzgebung bilden, die weder Industrie, noch Landwirtschaft, noch ein Gewerbe treiben, es sei denn, daß sie sich damit vollständig beschäftigt fühlen, das Volk nach verschiedenen Richtungen hin zu vertreten, und daß sie das das ganze Jahr lang tun, die verlieren leicht den Blick und das Mitgefühl für diejenigen Interessen, die ein Minister, der auch Besitz hat, also auch zu der misera contribuens plebs (das arme, steuerzahlende Volk) gehört, der auch regiert wird und fühlt, wie die Gesetze dem Regierten tun - wenn der offen auszusprechen sich nicht scheut, was er wahrnimmt, so sollte er doch vor dergleichen Andeutungen gesichert sein, daß er hier die Finanzpolitik des Besitzenden vielleicht im eigenen Interesse triebe.
Ich habe in der Beziehung in der Presse ziemlich grobe Andeutungen gelesen, auf die ich nicht zurückkommen will, auf die zurückzukommen unter meiner Würde ist. Aber ich möchte doch die Herren bitten, sich das klarzumachen, daß die Nichtbesitzer, Nichtindustriellen, Nichtlandwirte in den ministeriellen Stadien notwendig die Mehrheit bilden und daß die Gesetze von Hause aus die Farbe der Theorie und des Büros in ihren Vorlagen nur dann nicht haben, wenn einigermaßen Erfahrung im praktischen Leben bei dem, der sie macht, damit verbunden ist. Sie werden mir auch zugeben, daß in den gesetzgebenden Versammlungen Deutschlands die Zahl derjenigen, die keinen Besitz, kein Gewerbe, keine Industrie haben, welche sie beschäftigt, auf welche sie angewiesen sind, also die Zahl derjenigen, die vom Gehalt, vom Honorar, von der Presse, von der Advokatur leben, kurz und gut der Gelehrtenstand, ohne eine Stellung im Nährstande – irgendeine Art von Lehrstand –, daß der die Majorität bildet. In dieser Stellung möchte ich dem Herrn Abg. Lasker und denjenigen, welche neben ihm durch ihre überlegene Beredsamkeit, durch den Einfluß auf ihre Kollegen diese Majoritäten zu leiten gewohnt sind und welche sich diesem Geschäfte das ganze Jahr hindurch teils in der Presse, teils in parlamentarischen Leistungen zum Danke des Vaterlandes widmen, denen möchte ich doch ans Herz legen, daß noblesse oblige (Adel verpflichtet). Wer auf diese Weise jahrelang im Besitz der Macht in den Fraktionen gewesen ist, der muß auch an den denken, der als Amboß dient, wenn der Hammer der Gesetzgebung fällt, und das vermisse ich bei dem Herrn Abg. Lasker, wenn er sagt, ich hätte einen Krieg zwischen »Landwirtschaft und Industrie« eröffnet. Daß der besteht, ist hoffentlich nicht mehr wahr, ich hoffe, beide sehen endlich ein, daß es ihr Interesse ist zusammenzugehen. Aber zwischen Land und Stadt, das ist auch nicht in dem Maße richtig. Der Kampf, den ich nicht eröffnet habe, aber in dem ich seit Jahren mitkämpfe, soviel ich kann, soviel mir meine Geschäfte und - was ich doch auch bei den Betrachtungen, daß ich nicht früher mit dergleichen Vorlagen gekommen wäre, zu erwägen bitte - soviel mir Krankheit, Krankheit, die ich im Dienst erworben habe, dazu Zeit läßt, ist der Kampf für Reformen!
Der Herr Abg. Lasker hat dann nach meinen Notizen gesagt, größere Übertreibungen wie der Herr Reichskanzler in seiner Rede über die Steuerüberbürdungen gemacht hat, habe er nie aus dem Munde eines Abgeordneten gehört. Der Herr Abg. Lasker übertreibt gewiß nie, und was mir so vorschwebt als etwas rhetorisch stark aufgetragen, das sind gewiß keine Übertreibungen gewesen, die meinigen sollen aber noch größer sein als alle, die wir gehört. Nun, wenn sie so groß sind, daß keine andere heranreicht, dann müßte doch irgendeine Zahl, irgendein Satz mir nachgewiesen sein, in dem ich übertrieben hätte. Ich habe mich auf dem Gebiet der Ziffern bewegt, und diejenigen Ziffern, die für jeden zugänglich sind, die in dem Gesetz liegen; ich habe gesagt: Die Grundsteuer beträgt nach der Absicht des Gesetzes 10 Prozent. Ist das eine Übertreibung? Nein, es ist der klarste Inhalt des Gesetzes! Ich habe gesagt, ich will sie in Wirklichkeit da, wo das Gut schuldenfrei ist, auf 5 Prozent herabsetzen. Ist das eine Übertreibung? Im Gegenteil! Es ist eine sehr schüchterne bescheidene Veranschlagung, und die schuldenfreien Güter sind bei uns leider selten. Ich habe bestimmte Sätze von der Gebäudesteuer genannt, auf die ich nachher komme, ich habe die Einkommensteuer genannt, ich bin durch ein schlichtes Additionsexempel nicht auf die Ziffer, die der Herr Abgeordnete ex propriis (aus dem Vermögen) mir leiht, nämlich auf 40 Prozent Steuern, gekommen, sondern ich habe gesagt 20 bis 30 Prozent. Kann mir der Herr Abgeordnete auch nur einen Bruchteil einer Zahl invalidieren, so wollte ich zugeben, ich hätte um diesen Bruchteil übertrieben. Er kann das nicht, und ich kann ihm also sagen, ich habe nie ähnliche Übertreibungen, wie die seinen, aus dem Munde eines Abgeordneten gehört.
Ich verlasse diesen Gegenstand lieber, um innerhalb der parlamentarischen Grenzen zu bleiben.
Er sagt: Ist es möglich, daß ein Gewerbebetrieb bestehen kann bei einer Besteuerung von 40 Prozent? Ich freue mich, daß er in seiner weiten juristischen und gesetzgeberischen Praxis nie einen Gewerbebetrieb kennengelernt hat, der höher belastet ist, auch nicht über 40 Prozent seiner Revenuen an Zinsen zu zahlen gehabt hat, aber wenn er sich ein klein wenig innerhalb der Tore von Berlin und außerhalb im ganzen Lande umsehen wollte, so glaube ich, würde er diejenigen, die 60 Prozent ihrer Einnahme und noch mehr an Zinsen bezahlen und dabei doch in ihrem Erwerb bestehen, in großer Menge finden. Wie kommt ein so feiner Kenner der Menschen und unseres Landes dazu zu sagen: Bei 40 Prozent ist es gar nicht möglich zu bestehen? Ich erinnere daran, daß die mehr oder weniger amtlichen Erhebungen, die in Frankreich über die Belastung des Grundbesitzes stattgefunden haben, zu der Ziffer geführt haben, daß in Frankreich das ländliche Grundeigentum 44 Prozent seines Einkommens zu den öffentliche Lasten beizusteuern habe, daß das städtische Grundeigentum mit 14 Prozent besteuert sei und das bewegliche Eigentum keine vier Prozent zahle. So stellen sich die Verhältnisse in Frankreich; so schlimm stellen sie sich bei uns nicht überall. Aber wenn der Herr Abg. Lasker sagt, bei 40 Prozent Belastung könne kein Gewerbe bestehen, so kennt er das Geschäft nicht, und wenn er mir unterschiebt, ich hätte von 40 Prozent gesprochen, so täuscht ihn sein Ohr oder sein Gedächtnis; er hätte aber die Rede schon lesen können. Ich habe von 20 bis 30 Prozent gesprochen und kann das um so eher behaupten, als ich das Rechenexempel hier wiederholen könnte. Wenn man so etwas öffentlich hier vor dem Lande sagt, dann sollte man auch von seiten eines Abgeordneten, der öffentlich zum Volke spricht und mit der weitschallenden Stimme, die dem Herrn Abg. Lasker in seiner Stellung eigen ist, wohl davor gesichert sein, daß der erste Beamte des Reiches und des Staats in dieser Weise dem Volke dargestellt wird als einer, der in leichtfertiger Weise Unwahrheiten sagt und sich vor keiner Übertreibung fürchtet. Dabei ist dieser Vorwurf hingestellt ohne eine Spur, ohne einen Versuch von Beweis!
Der Herr Abgeordnete hat mir ferner vorgeworfen, ich kennte die Gesetzgebung des Landes nicht. Wenn man mir hier vorwirft, ich kennte die Gesetzgebung meines Landes nicht, so weiß ja jeder Mensch, daß ich nicht jedes Gesetz kennen kann; aber der Vorwurf hier von einem Abgeordneten in öffentlicher Rede und von dem Vertreter der öffentlichen Gerechtigkeit, als welchen sich der Abg. Lasker so oft gezeigt, indem er sein Zensoramt dem Ministerium gegenüber geübt hat, dieser öffentliche Vorwurf hier: er kennt die Gesetze nicht, der heißt doch: Er weiß nicht soviel von den Gesetzen wie er seiner Stellung nach wissen müßte. Das ist doch eine Art, mich in der öffentlichen Meinung herunterzudrücken, in meinem Fleiß, in meiner Gewissenhaftigkeit, mit der ich mich auf amtliche Sachen vorbereite, die, glaube ich, der Herr Abgeordnete, wenn er für mich ebensoviel Gerechtigkeit noch übrig hätte - nicht, wie für sich selbst, aber für seine Fraktionsgenossen dann nicht versuchen würde. Ich halte es nicht nützlich, die höchste Behörde auf diese Weise und in einem so schonungslosen Tone, selbst dann, wenn man recht zu haben glaubt, vor dem Lande gewissermaßen öffentlich an den Pranger zu stellen und seinen ganzen Triumph darin zu suchen, jemanden, der einmal, brauchbar oder unbrauchbar, wie er sein mag, die Geschäfte des Landes trägt und den der Herr Abgeordnete keine Hoffnung hat, jetzt zu beseitigen oder durch einen Besseren zu ersetzen, den auf diese Weise - ich will keinen unhöflichen Ausdruck gebrauchen – (Heiterkeit) sonst würde ich ihn sagen. Ich halte es nicht für richtig, auf diese Weise in der öffentlichen Meinung ein schlechteres Urteil über die leitenden Staatsmänner hervorzurufen, als an und für sich bei einer ruhigen und rechtlichen Prüfung sich verteidigen läßt, und namentlich bei der hohen Empfindlichkeit, die der Herr Abg. Lasker gegen jede Meinungsverschiedenheit sogar jederzeit hat – schaudernd habe ich es selbst erlebt. Ich möchte ihn bitten, etwas mehr auch die Empfindlichkeit anderer zu schonen, ich sehe ja von meiner amtlichen Stellung vollständig ab und stelle diejenige des Herrn Abg. Lasker vollkommen ebenso hoch und mit Vergnügen höher als die meinige. Aber beobachten wir doch die Form der Höflichkeit, die wir beobachten, sobald wir uns auf der Straße oder an einem dritten Ort begegnen; nehmen wir nicht an, daß, wo wir öffentlich und vor dem Lande reden, wir uns von dieser Sitte dispensieren dürfen und daß das die Sache fordert, oder die persönlichen Beziehungen unter uns oder selbst das Ansehen dessen, der es tut.
(Bravo! Bravo!)
Der Herr Abgeordnete sagt also, „ich kennte die Gesetze des Landes nicht, landwirtschaftliche Gebäude sind frei“. Darauf sage ich, daß für ihn kein geringerer Vorwurf ist als der Mangel an Gesetzeskenntnis: Erkennt die Landwirtschaft nicht und weiß nicht, was ein landwirtschaftliches Gebäude ist. Ich habe eine Liste hier meiner Gebäudesteuer auf einem pommerschen Gut. Da sind 149 Positionen besteuerter landwirtschaftlicher Gebäude aufgeführt, deren Steuern zusammen um etwa 20 Prozent erhöht worden sind in diesem Jahre, und deshalb wird mir die Liste eingereicht.
Ich will, da wir doch weiter mit dem Herrn Abgeordneten zu diskutieren haben, in dieser Sache ihm mitteilen, was ungefähr ein landwirtschaftliches Gebäude ist. Beispielsweise das Wohnhaus eines Rieselmeisters. Er wird mir zugeben, das gehört zur Landwirtschaft, oder zum Beispiel ein Zieglerwohnhaus.
(Rufe: Wohnhaus! Das gehört nicht dazu!)
Gut, dann will ich es streichen, bleiben immer noch 148. Dann zum Beispiel ein Taglöhnerwohnhaus.
(Rufe: Wohnhaus!)
Ich verstehe nicht – ich will einen Augenblick schweigen, wenn Sie sich dann aussprechen wollen.
(Präsident: Ich bitte um Ruhe! Ich bitte, die Unterbrechungen zu unterlassen!)
Es wäre mir sehr interessant, zu wissen, was Sie sagten, aber es war nicht artikuliert genug, um es zu verstehen. Ich nehme selbst auf die unbilligsten Wünsche Rücksicht. Es kommen dann zehn bis zwölf landwirtschaftliche Tagelöhnerhäuser und andere, das sind bei weitem die meisten der 148, es kommen Gebäude mit Stall, die höher zahlen als die andern, aber alles sind Gebäude landwirtschaftlicher Arbeiter und Pächter. Ich will Sie mit den Einzelheiten nicht ermüden, die Liste steht zu jedermanns Einsicht. Ich frage: Ist die Wohnung eines ländlichen Arbeiters, den man notwendig zum Betrieb der Landwirtschaft braucht, ein landwirtschaftliches Gebäude oder nicht? Ist es eine Besteuerung der Landwirtschaft, wenn solche Gebäude, sobald ein Stall dabei ist, höher besteuert werden? Ist es eine Besteuerung der Landwirtschaft, wenn eine Erhöhung der Besteuerung wegen der Größe des Hofraums eintritt, die doch nur für den technischen Betrieb der Landwirtschaft gewählt wird und auf dem eine Menge Sachen vorgehen? Also ich glaube, die Beschuldigung der Unwissenheit in Bezug auf die Gesetzgebung trifft mich hier nicht. Wenn der Herr Abg. Lasker in betreff der Unwissenheit auf dem Gebiet der Landwirtschaft und Lage der Landwirtschaft, über die er mit Sicherheit spricht, sich ebenso ausweisen kann, so soll es mir lieb sein.
Er hat ferner gesagt, kein Bauer zahle eine Einkommensteuer. Das trifft meine Rede nicht. Ich habe die Einkommensteuer, weil sie von Reichen bezahlt wird, beibehalten wollen, ich will nur die Klassensteuer abschaffen und in dem Maße, in welchem wir Ersatz durch die indirekten Steuern dafür bekommen werden. Ich hoffe, mich darüber auch später, wenn der Zeitpunkt gekommen sein wird und ich noch Minister sein sollte, mit meinen preußischen Kollegen zu verständigen. Ich bin und bleibe der Überzeugung, daß die Klassensteuer gar nicht bestehen sollte, daß sie abgeschafft werden sollte im ganzen Umfange und daß wir uns bemühen sollten, indirekte Steuern zu dem hohen Belauf zu finden, daß wir imstande sind, die Klassensteuer zu erlassen. Der Herr Abgeordnete sagt nun, die Klassensteuer betrage nicht 3 Prozent; das habe ich auch nicht behauptet. Ich habe von der Einkommensteuer gespro¬chen. Ob sie in ihren höchsten Positionen so sehr viel darunter ist, weiß ich doch nicht. Ich habe die Liste nicht im Kopfe, wieviel jemand Klassensteuer bezahlt, der 1000 Taler Einkommen hat, also die höchste Klassensteuer.
(Ruf: 24 Taler!)
Wenn es 24 Taler sind, so sind 24 Taler vom Tausend nach meiner Rechnung fast 2 1/2 Prozent; das ist also doch so sehr weit von 3 Prozent, die ich nicht nannte, nicht entfernt, weiter aber von 1 bis 2 Prozent, die der Herr Abg. Lasker anführte, um diese Steuerbelastung herunterzudrücken und nachzuweisen, daß sie eine Belastung nicht ist. Auch hier schützen mich die Ziffern gegen den Vorwurf der Übertreibung.
„Die ganze Rechnung des Herrn Reichskanzlers ist irrig und unzuverlässig.“ Meine Herren, diese Behauptung ist einfach eine unrichtige, eine falsche, die der Herr Abgeordnete macht. Meine Darstellung ist nicht irrig. Ich bitte, mir den Irrtum nachzuweisen. Und „unzuverlässig“, das bedaure ich, daß das hier so hingegangen ist. Wenn jemand hier vom Regierungstische einen Abgeordneten unzuverlässig nennen wollte, ich glaube, es würde sofort die vielbestrittene Frage der präsidialen Disziplin entgegentreten.
(Rufe: Oh! Oh!)
Ich muß dagegen protestieren, daß mir der Vorwurf der Unzuverlässigkeit gemacht wird. Es ist das ein geradezu beleidigender Vorwurf. Unzuverlässig, das heißt: man kann auf seine Angaben kein Gewicht legen. Ich verwahre mich gegen diesen Vorwurf und werde meinerseits dieses Wort nicht als in den parlamentarischen Sprachgebrauch übergegangen ansehen und nicht gegen andere damit operieren.
Der Reichstag dürfte also nach der Meinung des Herrn Abg. Lasker auf keine Reform eingehen, welche auf so schwacher Basis steht, wie er es von meiner Zuverlässigkeit scheint anzunehmen. Ich hoffe aber, der Reichstag wird der Führerschaft des Herrn Lasker nicht folgen.
Da ich einmal das Wort habe, so kann ich nicht umhin, es zu benützen, um einem Vorurteil zu wider-sprechen, welches namentlich hier aus dem Mund eines sachlich sonst sehr wohlinformierten und gewiß zuverlässigen Abgeordneten, des Herrn Oechelhäuser (von der nationalliberalen Fraktion), zutage trat. Die Herren werden sich erinnern – ich hatte damals leider auf dem hiesigen Standpunkt ihn nicht recht verstehen können, sonst würde ich ihm gleich die Bemerkung gemacht haben, daß er in Bezug auf den geschichtlichen Teil seines Rückblicks sich im Irrtum befinde. – Der Herr Abgeordnete schloß damit, daß er sagte, er wollte der Fahne von 1818 folgen, und sah in dieser Fahne eine Vertretung des Freihandels, eine Vertretung der großen Finanzmänner, welche in der früheren Geschichte, sagen wir Preußens oder des Zollvereins, von hervorragendem Namen sind. Der Herr Abgeordnete befindet sich ohne Zweifel im Irrtum in Bezug auf die Jahreszahl. Ich kann aber eine Jahreszahl, die seiner Auffassung entspräche, überhaupt nicht finden. Die Herren Freihändler müssen von dem Gedanken, daß der Ruhm unserer Vorfahren es verlange, daß wir Freihändler werden, sich losreißen. Es ist das nicht der Fall. Im Jahre 1818 war preußischer Finanzminister ein Ehrenmann, glaube ich, aber kein berühmter Gesetzgeber auf dem Gebiet der Finanzen, es war Herr v. Klewitz, und wie die Zölle im Jahre 1818 waren, dafür habe ich eine Liste mitgebracht. Wenn das das Ideal ist, was dem Herrn Abg. Oechelhäuser vorschwebte, so kann ich ihm dahin doch nicht folgen, er geht mir im Schutzzoll zu weit.
(Heiterkeit)
Ich habe hier eine übersichtliche Liste, von der ich bedaure, daß sie nicht mehr gelesen wird, und ich will Sie nicht ermüden, und wenn dies der Fall sein sollte, bitte ich, überzeugt zu sein, daß die Ermüdung eine gegense¬tige ist und daß ich auch meinen Anteil tragen muß; aber hier also von 1818 bis 1821 waren beispielsweise die vier letzten Baumwollpositionen, die in dem von uns vorge¬schlagenen Tarif40,60,100 und 125 Mark betragen, 142, 183, 183, 183,
(Hört!)
es war ferner das Blei mit 3 1/2 Prozent besteuert und es ist jetzt frei, Bleiwaren, die jetzt 12 Mark tragen sollen, waren damals mit 73 Mark bezahlt, feine Bürstenwaren, welche jetzt und künftig mit 12 Mark besteuert sind, wurden mit 73 Mark besteuert. Ich übergehe das meiste und ziehe nur die interessanteren Positionen heraus. Es waren die letzten und höchsten Positionen Eisenwaren, jetzt und künftig 30, und 1818 waren es 73 Mark; feine Stahl- und Eisenwaren jetzt 12 Mark, 1818: 73 Mark, geschliffene und gefirniste jetzt 3 Mark, damals 19 Mark, und grobe Eisen- und Stahlwaren ebenso 19 Mark pro Zentner, Hohlglas jetzt 1,50, damals 3,25, wobei ich zu dem Beispiele meines geehrten persönlichen und, wie ich überzeugt bin, auch in der Hauptsache politischen Freundes Delbrück noch bemerke, daß die Einfuhr leerer Flaschen und gefüllter Flaschen doch nicht in einem großen Gegensatz steht; wenn man die leeren Flaschen, die man zollfrei einbringen will, füllen, korken und nachher den Kork bezahlen wollte - das ist eine ziemlich teuere Manipulation - und die gefüllten Flaschen wieder entkorken und spülen wollte, es würde dann mehr herauskommen als der Zoll beträgt. Auf weißes Glas, rohes und geschliffenes, betrug die Steuer 1818:16,75 und jetzt 12 Mark, dann Brennholz, was jetzt steuerfrei ist, zahlte damals 25 Pfennige. Seide und Floretseide jetzt 450 und 220, damals beide 513,35, Leder aller Art jetzt 12, damals 24, Handschuhe jetzt 50, damals 238, Wein und Most jetzt 12, damals 47,70 Mark. Meine Herren, ich will Sie nicht ermüden, ein jeder kann ja den Tarif nachlesen, ich will bloß den historischen Irrtum bekämpfen, als wollten wir jetzt höhere Sätze erstreben als früher stattgefunden haben. Das Jahr 1818 ist meiner Überzeugung nach auch in den Augen des Herrn Oechelhäuser entlarvt, ich glaube nicht, daß man es in freihändlerischer Beziehung anziehen darf. Wenn ich nun aber weiter gehe, die eigentliche wirksame Zeit des Zollvereins, unter welchem wir uns 40 Jahre einer ziemlich ungetrübten Prosperität, trotz schwerer innerer Wirren im Jahre 1848, doch im großen und ganzen erfreut haben, so waren auch damals die Zölle bei weitem höhere als die wir Ihnen jetzt vorschlagen. Für diese höheren Zölle stand eine Anzahl bedeutender Finanzmänner ein, und meines Wissens auch die einzigen, die wir seit langer Zeit gehabt haben. Es waren das - in erster Linie will ich den ältesten, ich glaube, er hielt auch am längsten aus, von ihnen nennen -, es war Rother, dann Maaßen und Motz, die beiden M.; 1817 war es v. Klewitz, 1825, 1830, 1834 waren es Herr v. Motz und Maaßen und Graf Alvensleben. Zwischen und mit ihnen war Rother tätig, der großen Einfluß auf die Gestaltung gehabt hat und eben auch kein Fachmann war. Sie kennen sein Herkommen, er war Regimentsschreiber und wurde zur Stelle ausgehoben auf dem Wege der Kantonalpflicht, und es war kein Gelehrter, wie sie heute die Gesetzgebung beherrschen. Motz war Landrat und auch kein Fachmann. Dann aber von 1842 an ist eine Zahl von Namen, bei der, glaube ich, ein finanzieller Reformer sein Herz bei keinem wird erwärmen können. Es ist zuerst Bodelschwingh; dann ein Finanzmann, der ein sehr ausgezeichneter Oberpräsident und Minister war, der in Finanzgesetzen keine feste Spur hinterlassen hat, wenn auch sonst in vielen Dingen: Herr v. Flottwell; dann Düesberg, Hansemann, Bonin, dann ein Mann von Geist: Kühn, der aber schon anfing, die Finanzwirtschaft politisch zu betreiben. Meiner Überzeugung nach trieb er sie nicht mehr sachlich, sondern es war schon eine Politik nach einer bestimmten Richtung darin, der ordnete er die Finanzen bis zu einem gewissen Grade unter. Dann kamen die Herren Rabe, v. Bodelschwingh, v. d. Heydt, Camphausen, Hobrecht. Nun, meine Herren, wo da in der Vergangenheit dieser feierliche Appell an die Fahne des freien Verkehrs sich anknüpfen soll, weiß ich nicht, wenn Sie nicht gerade die eigentlichen Zollvereinsstifter von 1824 meinen, und die Schutzzölle dieser Zollvereinsstifter reichen ja bis zum Jahre 1864, sie haben sich von 1822 bis 64 immer auf schützender Höhe erhalten, in Baumwollenwaren auf 138 und auf 150 in der höchsten Position, und jetzt waren wir in der bei 78 angekommen und streben auf 125, also lange nicht so hoch wie in der Hauptzeit des Prosperismus des Zollvereins. Die Erinnerung an den Zollverein spricht also für unsere Reform. Wir wollen die alte Zollvereinspolitik, die ruhmreiche und wirksame Zollvereinspolitik, wieder in ihre alten Rechte einsetzen, und ich hoffe von ihr denselben Segen, den das Land lange Jahre hindurch von ihr gehabt hat.
Ich habe in der ganzen Debatte die Erwähnung eines Gebietes vermißt, ohne welches der Zolltarif doch keine Selbständigkeit, keine Sicherheit und keine Wirkung hat, das ist die Frage der Eisenbahntarife. Sie liegt ja nicht hier in diesem Gesetze, sie schwebt auf einem anderen Gebiete, aber sie sollte womöglich auch gleichzeitig gelöst werden, denn es ist ganz unmöglich, eine Zollpolitik unabhängig von der Eisenbahnfrachtpolitik zu treiben.
(Sehr wahr!)
Solange die Tendenz unserer Eisenbahnen gewesen ist, uns alles, was Einfuhr ist, wohlfeiler hereinzufahren, als sie das, was Ausfuhr ist, herausfahren, solange ist sie ein Gegenzoll gegen unseren Zolltarif, steht uns als Einfuhrprämie gegenüber, die beispielsweise im Getreide, wie ich mich - der Herr Abg. Dr. Lasker wird sich daran erinnern – in dem Briefe an Herrn v. Thüngen geäußert habe, sehr häufig das Doppelte, manchmal das Drei- und Vierfache des Zolles betragen kann. Solange wir diesen Krebsschaden unserer Produktion haben, daß jede Ausfuhr von uns nach höheren Tarifen gefahren wird als die Einfuhr, daß jedes deutsche, einheimische, nationale Gut teurer gefahren wird als das ausländische, solange wir davon nicht erlöst werden, kann in Massengütern kein Grenztarif helfen, werden wir ohnmächtig bleiben gegen eine Macht, welche in die Hand einzelner Gesellschaften oder in die Hand einzelner Zweige der Staatsverwaltung gelegt ist und gelegt war. Zu meiner großen Freude hat in Preußen in der Eisenbahnpolitik eine Umkehr seit Jahr und Tag schon stattgefunden, in den übrigen Staatsbahnen der verbündeten Staaten hoffe ich, daß diese bald geschehen wird, wenn auch bisher der Taler, der aus Eisenbahnrevenuen kommt, noch einen höheren Wert zu haben scheint wie derjenige, der aus anderen Finanzquellen herrührt. Vielleicht sind die Eisenbahnminister in den Einzelstaaten mächtiger als die Finanzminister, ich weiß nicht, woran das liegt, manche dieser Länder fahren zum Schaden, namentlich in ihren Forsten fahren sie ertragslos und sind genötigt, danach den in den Staatsforsten ausfallenden Betrag durch, wie es jetzt liegt, direkte Steuern von den Untertanen wieder einzuziehen.
Mir ist neuerlich schon die Klage vorgekommen, daß eine sächsische Papierfabrik eine Lieferung für ein englisches Journal an Papier hat. Das Journal ist, wenn ich nicht irre, der „Globe“, eins der großen Massenjournale, und das Quantum ist täglich so groß, daß diese Fabrik eines eisenbahnbesitzenden Landes nun in der Lage ist, sich darüber zu beschweren, daß sie jedes ausländische Produkt wohlfeiler ins Land hineingefahren bekommen könnte als ihr auszuführendes Papier nach der Seegrenze, und ich glaube, wenn diese Beschwerden, daß die Ausfuhr bei uns zu teuer gefahren wird, allgemeiner verlauten, werden wir Abhilfe finden; ich habe mich deshalb absichtlich bemüht, den Beschwerden so viel Öffentlichkeit wie möglich zu geben.
Ich kann meine Auseinandersetzung damit schließen, daß ich an dem ganzen Programm festhalte, wenn ich auch einzelne Positionen anders gewünscht hätte, und davon ist ja auch in meiner Korrespondenz mit Herrn v. Thüngen die Rede. Aber wir haben zu einer Vorlage nur dadurch kommen können, daß wir kompromittierten, daß der eine in diesem, der andere in jenem nachgab. Ich bereue das auch nicht. Mir liegt nicht an Einzelheiten; mir liegt es an der Gesamtheit, und dieselbe Erwägung, denselben Gesichtspunkt möchte ich auch den Herren Abgeordneten empfehlen, die vielleicht mit Dreiviertel der Vorlage einverstanden sind, dann aber etwas haben, wo sie persönlich anderer Meinung sind, mitunter vielleicht ganz isoliert in ihrer Fraktion stehen.
Die Möglichkeit, daß jeder einzelne sich eine Vorlage genau nach seiner persönlichen Einsicht über das, was nach seiner Überzeugung das Beste wäre, bildet, liegt nicht vor, nicht einmal in der einflußreichen amtlichen Stellung, deren ich mich erfreue, noch viel weniger in der Stellung eines einzelnen Abgeordneten, und die Stimme desjenigen, der nicht für die Vorlage stimmt, weil sie ihm zu einem Achtel nicht gefällt, geht geradesogut verloren und fällt in das Lager der Gegner wie die, welche dagegen stimmen, weil ihnen das ganze System und die ganzen Zielpunkte nicht gefallen.
Ich möchte deshalb auch in dieser Richtung zu Einigkeit ermahnen; und möge der einzelne, der mit dem größeren Teil der Vorlage einverstanden ist, es doch machen wie ich und dem übrigen nicht so genau ins Gesicht sehen und sich sagen: „Das Beste ist des Guten Feind.“
Ich kann auch nicht alles haben, was ich erstrebe, ich frage nur: Ist das, was gebracht wird, in seiner Gesamtheit, in seiner Gesamtwirkung besser als das Bestehende?
Wenn ich es allein machen könnte, wenn ich allein die Majorität des Bundesrats in mir trüge, würde ich vielleicht manches anders gemacht haben, aber ich muß es eben so nehmen, wie es vorliegt.
Ich kann also damit schließen, daß ich meine Stellung zu der Sache in keiner Weise, namentlich nicht durch mich persönlich treffende Argumente, aber auch nicht durch die vorgebrachten sachlichen erschüttert finde und daß ich nach wie vor an den Zwecken festhalte, die ich aufstellte: das Reich selbständiger zu stellen, die Gemeinden zu erleichtern, den zu hoch besteuerten Grundbesitz durch indirekte Steuern zu erleichtern, zu diesem Behufe die Abschaffung der Klassensteuer, ich wiederhole es, in ihrem vollen Umfange zu erstreben, und demnächst als den letzten und nicht den geringsten Zweck: der einheimischen, nationalen Arbeit und Produktion im Felde sowohl wie in der Stadt und in der Industrie sowohl wie in der Landwirtschaft den Schutz zu gewähren, den wir leisten können, ohne unsere Gesamtheit in wichtigen Interessen zu schädigen.
(Bravo! rechts. Zischen links.)