Konzept Bismarcks eines Artikels für die „Hamburger Nachrichten“, Kissingen

    19. Juli 1892

     

    Nicht allein ihm gegenüber, sondern auch für die österreichisch-ungarische Aristokratie, die die Hochzeitsfeierlichkeiten für Herbert von Bismarck und Marguerite von Hoyos ausrichtete, sei es eine „zu Recht empfundene Kränkung“ gewesen, dass die deutschen Gäste die zuerst angenommenen Einladungen wieder hätten ausschlagen müssen.

    In einigen Blättern, zum Beispiel in der „Weser-Zeitung“ und in der „Straßburger Post“, wird die Auffassung vertreten, daß die Beteiligung des Prinzen Reuß an der Wiener Hochzeit zu falschen Schlüssen auf die Stellung der jetzigen Regierung hätte Anlaß geben müssen und deshalb untersagt worden sei; es sei für die deutsche Regierung „nahezu eine Pflicht gewesen, den befreundeten Wiener Hof nicht ohne Nachricht darüber zu lassen, wie man sich deutscherseits zu der Hochzeit stelle“. Es liegt in dieser ganzen Auffassung eine Unterschätzung der Stellung des Deutschen Reichs und eine Überschätzung einer Privathochzeit, die vollständig harmlos und ohne Folgen verlaufen sein würde, wenn man sich amtlich gar nicht um sie bekümmert hätte. Von einer „Stellung des Deutschen Reichs zur Hochzeit“, über die in Wien aufzuklären notwendig gewesen wäre, konnte überhaupt gar keine Rede sein, und folglich auch nicht von falschen Schlüssen, die aus derselben möglich gewesen wären. In den gegenteiligen Preßäußerungen gelangt die nämliche Überschätzung einer privaten Hochzeitsfeierlichkeit zum Ausdruck, wie sie amtlich durch den Erlaß vom 9. Juni bekundet worden ist und im Auslande namentlich Verwunderung erregt hat. Wir glauben nicht, daß aus der Beteiligung des Prinzen Reuß an der Hochzeit politische Schlüsse zu ziehen gewesen wären, sondern wir sind der Ansicht, daß durch die amtliche Verhinderung der Beteiligung das Deutsche Reich der Hochzeit des Grafen Bismarck in einer Form gegenübergestellt worden ist, die recht deutlich zeigt, wie das persönliche Element und die persönliche Empfindlichkeit im neuen Kurse vorwiegen.

    Wie die Sache in Wien aufgefaßt worden ist, geht aus einem Briefe hervor, der von dort aus darüber geschrieben ist und dem wir nachstehende Sätze entnehmen:

    „Der Erlaß des Grafen Caprivi vom 9. Juni, den die Hamburger Nachrichten in ihrer letzten Sonntagsnummer mit außerordentlicher Mäßigung besprechen, hat hier allgemein und zumal in den vornehmen Gesellschaftskreisen peinlich berührt. Die kränkende Spitze der Caprivischen Auslassung richtet sich danach nicht bloß gegen den Fürsten Bismarck, sondern auch gegen die Mitglieder der österreich-ungarischen Aristokratie, welche die Hochzeitsfeierlichkeiten gaben und die Einladungen ergehen ließen. Fürst Bismarck und seine Familie waren bei der Hochzeit ebenso wie Prinz Reuß und der dem gräflich Hoyosschen Paare verschwägerte deutsche Botschaftsrat nichts anderes als Gäste des Grafen Palffy, der Gräfin Andrassy und des Grafen Hoyos. So war es für die Gastgeber eine von ihnen mit Recht empfundene Kränkung, daß die genannten Mitglieder der Botschaft die bereits dankend angenommene Einladung ohne Angabe triftiger Gründe nach einigen Tagen wieder refüsierten. Der Botschafter hat dies bei seinem feinen Taktgefühl so lebhaft empfunden, daß er darüber krank geworden ist, denn die Unhöflichkeit, die er zu begehen hatte, richtete sich gegen die einladenden österreich-ungarischen Herrschaften.“

    Wir vermissen bei den Einwirkungen in Wien und bei den Erlassen das wünschenswerte Augenmaß bezüglich der Stellung der Politik eines großen Reiches zu Vorkommnissen des alltäglichen Lebens - und dies Mißverhältnis wird noch erheblich erweitert durch die Publikation der Erlasse. Wir vermögen für diese letzteren noch immer kein anderes Motiv als logisch zulässig zu entdecken, als die Herstellung einer Bürgschaft gegen Wiederkehr irgendwelchen Einflusses des Altreichs-Kanzlers durch eine amtliche Publikation. Warum der erste Erlaß heute, nach zwei Jahren, veröffentlicht wurde, ist uns noch weniger erkennbar, wenn die Veröffentlichung nicht etwa unter dem Eindrücke erfolgt ist, daß der zweite, kleinere Erlaß nicht hinreichend Fülle und äußeren Umfang habe. Im ersten Erlaß vom Jahre 1890 tritt das erwähnte Mißverständnis zwischen Vorgängen des privaten Lebens und der Staatspolitik noch schärfer hervor als in dem zweiten Erlaß. Es handelt sich in ihm nicht um die Hochzeit, sondern nur um die Unzufriedenheit mit einer deutschen Zeitung, der unserigen; diese Unzufriedenheit wird durch ein Zirkular des Reichskanzlers an alle Kaiserlich Deutschen und Königlich Preußischen Vertretungen im Auslande zur Kenntnis aller ausländischen Regierungen in allen Weltteilen gebracht! Dieser Unzufriedenheit ist dadurch eine erhöhte Wichtigkeit zu geben versucht, daß die betreffenden Artikel unseres Blattes aus der Zeit vor dem 23. Mai 1890 als direkte Kundgebungen des früheren Reichskanzlers den fremden Regierungen gegenüber bezeichnet wurden; denn die Interviews mit Lwow und des Houx waren die einzigen, die bis dahin stattgefunden hatten. Diese aber sind, selbst wenn man jedes einzige Wort daraus für authentisch annimmt, so harmlos, so friedliebend und so frei von jeder Kritik der gegenwärtigen Regierung, daß sich die öffentliche Meinung nach wiederholter Prüfung derselben von der Unmöglichkeit überzeugt hat, daß ihr Inhalt zu Anklagen des früheren Reichskanzlers bei den fremden Regierungen Anlaß gegeben haben sollte. Unsere Gegner haben inzwischen schon den Rückzug in dieser Beziehung angetreten und halten sich allein an die damals erschienenen Artikel unseres Blattes; sie erzeigen also den „Hamburger Nachrichten“ die Ehre, daß nur wegen ihrer Publikationen ein Weltzirkular der Regierungen des Deutschen Reiches und Preußens an alle ihre Vertreter bei den fremden Mächten erlassen wurde. Wir können daraus mit Genugtuung auf das Gewicht schließen, das unserem Blatte und seinem Inhalte damit beigelegt worden ist.