Konzept für einen Artikel in den „Hamburger Nachrichten“

    14. Oktober 1892

     

    Es liege im Reichsinteresse, dass die Beziehungen zwischen Kaiser und König möglichst eng blieben. Der Reichskanzler als Minister des Auswärtigen und die dualistische Stellung des preußischen Kriegsministers erleichtere nicht nur, sondern gebiete beider politische „Intimität wenn nicht die Identität“.

    In einem officiösen Artikel der Köln. Ztg. wird die Scheidung zwischen Kaiser und König noch schärfer hervorgehoben, als wir dies bisher in andren Blättern gelesen haben; ursprünglich lag es sicher nicht in der Absicht der Verfassungsgeber, eine solche Scheidung überhaupt zu statuiren. Nach dem ersten Verfassungsentwurfe für den norddeutschen Bund sollte der Bundeskanzler keine ministerielle Stellung haben, sondern die eines Untergebenen des preußischen Ministers der Auswärtigen Angelegenheiten erhalten, gewissermaßen ein preußischer Unterstaatssecretär für deutsche Sachen in voller Verkörperung der Bestrebungen Deutschland unter „preuß. Führung“ zu einigen. Bei der Verfassungs-Revision hat dann der Reichstag die Form für den Ausdruck dieses Gedankens dahin modificirt, daß der Kanzler des Norddeutschen Bundes die ministerielle Verantwortlichkeit für die Anordnungen des Königs von Preußen in Ausübung des Präsidiums zu übernehmen hätte.

    Die Folge davon war, daß Graf Bismarck unter solchen Umständen glaubte, als preußischer Ministerpräsident das Kanzleramt selbst übernehmen zu müssen, da er mit einem Unterstaatssecretär, der die Präsidial-Anordnungen des Königs in deutschen Angelegenheiten selbstständig contrasigniren könne, die Verantwortlichkeit für die preußische Politik nicht dauernd zu tragen vermöge. Seitdem blieb die Verantwortlichkeit für die preußischen Anordnungen des Bundespräsidiums und später des Kaisers mit der des preußischen Ministers des gesammten Auswärtigen in einer Hand vereinigt. Der vorübergehende Versuch, 1872 die Verantwortlichkeit für Preußen Kriegsminister Grafen Roon als Min. Präs. [Ministerpräsident] zu übertragen, die Kaiserlichen aber dem Reichskanzler zu belassen, bewährte sich nach dem Eindruck aller Betheiligten nicht und sowohl Graf Roon wie seine preußischen Kollegen verlangten einstimmig die Rückkehr zu der Personalunion beider Verantwortlichkeiten. Der Versuch der Trennung ist erst 1892, also nach 20 Jahren, erneuert worden, und an sich unter schwierigeren Umständen, indem 1872 die Fühlung, welche der Reichskanzler Fürst Bismarck nach Niederlegung des Präsidiums dennoch mit den preußischen Staatsministern behielt, zweifellos eine engere und intimere blieb als sie heut, unter analogen Verhältnissen, sein wird, weil letzteren nicht eine so langjährige und erfolgreiche gemeinsame Arbeit vorhergegangen ist wie 1872. Im Intresse des Reichs liegt es aber, daß die Beziehungen beider Verantwortlichkeiten, der Kaiserlichen und der Königlichen, möglichst enge bleiben, und die Mitgliedschaft des Reichskanzlers als Ministers des Auswärtigen ebenso wie die dualistische Stellung des preußischen Kriegsministers erleichtern nicht nur, sondern gebieten die Intimität wenn nicht die Identität der Politik Beider.

    Jede Aenderung der bisherigen Gepflogenheit, durch welche die Verschiedenheit zwischen den Kaiserlichen und den Königlichen ministeriellen Verantwortlichkeiten verschärft und vertieft wird, bleibt ein Schaden für das Reich.

    Der Kaiser losgelöst von Preußen wäre ein Kaiser ohne Hausmacht; was das zu bedeuten hat, wissen wir aus der Geschichte und die Kaiserkrone ist communi consensu [nach allgemeiner Überzeugung] dem Könige von Preußen zuerkannt worden, weil er der mächtigste unter den Verbündeten war. Wenn Wilhelm I. nicht König von Preußen, sondern Sachsen oder Bayern gewesen wäre, so wäre ungeachtet seiner hervorragenden Persönlichkeit die Kaiserwahl auf ihn nicht gefallen. Ein Kaiser, losgelöst von jeder Hausmacht, steht an der Spitze seiner Beamten und der Verfassungsparagraphen, er wird zum bureaukratischen Begriff, wenn er als losgelöst und ihr in Concurrenz gegenüberstehend gedacht werden soll. In dem Könige von Preußen haben die verbündeten Monarchen dem mächtigsten unter ihnen das gemeinsame Präsidium mit dem Kaisertitel in Versailles übertragen, aber nicht in dem von der „Kölnischen Zeitung“ wie folgt behaupteten Sinne: „Das preußische Ministerium kann, wenn die Instruktion für die preußischen Bevollmächtigten festgestellt wird, Stellung gegen den Kanzler nehmen, wenn ihm dies nötig erscheint. Der König kann sein Staatsministerium ermächtigen, die preußischen Bevollmächtigten mit einer antipräsidialen Instruktion zu versehen. Der Kaiser aber kann sich Vorbehalten, wenn Preußen im Bundesrat überstimmt wird, den Beschluß der Majorität zu vollziehen. Das kann nur dem verkehrt erscheinen, der den Geist unserer nun einmal in Folge der deutschen Geschichte verwickelten Institutionen nicht begreifen will. Solche Konflikte zwischen Kaiser und König, die nur ausgetragen werden können, wenn der preußische Partikularismus und der Reichs-Universalismus sich frei gegen einander aussprechen, sind sehr wohl denkbar. Der Gedanke, jede kaiserliche Aktion von dem preußischen Staatsministerium abhängig zu machen, ist ebenso reichswidrig der Wirkung nach, als verfassungswidrig dem Reichsrecht nach.“ Das wäre also ein von Preußen losgelöstes, mit dem preußischen Staate unter Umständen in Concurrenz und Conflict gedachtes theoretisches Kaiserthum.

    Es erfüllt uns mit Besorgniß, wenn die Inspirationen der officiösen Presse, die doch mit maßgebenden Kreisen Berührung haben müssen, dahin ausfallen, daß unser preußisch-deutsches Gemeinwesen als ein zweispältiges angesehn werden soll, lediglich verbunden durch eine Personalunion wie etwa Oesterreich und Ungarn, oder Schweden und Norwegen, aber mit der Möglichkeit divergirender Verantwortlichkeiten verschiedner ministerieller Potenzen für denselben gemeinsamen Monarchen. Will man das Reich schädigen, so kann das unter Andrem auch durch Verstärkung der Preußen und das Reich von einander trennenden Elemente und Begriffe recht wirksam geschehn. Wir möchten aber solchem Verfahren gegenüber den Wallenstein’schen Spruch umkehren; Wir wären versucht den Gedanken „verwünscht gescheut“ zu nennen, wenn er nicht so „herzlich dumm“ wäre.