Brief an Gustav Scharlach, Kniephof, 9. Januar 1845


    Lieber Scharlach alias Giesecke!

    Aus meinen Wünschen, Dich auf meiner Rückreise von Norderney aufzusuchen, ist nichts geworden, und zwar aus einem sehr trivialen Grunde; ich hatte den dortigen Spieler, Herrn Hartog, wider meinen Willen, so freigebig unterstützt, daß mir nur eben so viel Geld übrig blieb, in Gesellschaft eines Bekannten über Hamburg, als den wohlfeilsten Weg, heimzukehren, und erreichte meines Vaters Hof mit Müh‘ und Noth, d.h. ich kam mit 25 sgl. auf seinem Gute an der Elbe an, und war froh, daß ich durch mein unverdächtiges Aussehen der Bezahlung eines Passes an der Gränze entging. –

    Ich will Dich zuerst au fait setzen von dem, was mir seit unserer Trennung widerfahren ist. Bis Aachen kennst du, glaube ich, meine Schicksale. Dort eröffneten sich mir durch das Wohlwollen einflußreicher Leute in Berlin sehr günstige Aussichten für das, was man eine glänzende Carrière nennt; und vielleicht hätte der Ehrgeiz, der damals mein Lotse war, noch länger und für immer mein Steuer geführt, wenn nicht eine bildschöne Engländerin mich verleitet hätte, den Cours zu ändern, und 6 Monate ohne den geringsten Urlaub auf ausländischen Meeren in ihrem Kielwasser zu fahren. Ich nöthigte sie endlich zum Beilegen, sie strich die Flagge, doch nach zweimonatlichem Besitz ward mir die Prise von einem einarmigen Obristen mit 50 Jahren, 4 Pferden und 15 000 rl. Revenüen wieder abgejagt.

    Arm im Beutel, krank am Herzen, kehrte ich nach Pommern heim. Bei dieser Gelegenheit (1837) kam ich durch Göttingen; da ich aber dergestalt Havarie gelitten hatte, daß ich mich von einer schwerfälligen und verdrieslichen Gallione mußte schleppen lassen, so war ich nicht hinreichend Herr meiner Bewegungen, um mit Dir zusammen treffen zu können. Ich trat darauf bei der Regierung in Potsdam in Dienst, suchte mich durch Spiel und Trunk zu zerstreuen, machte unverhältnismäßige Schulden, wurde Militär, um meiner Dienstpflicht zu genügen, gerieth in üble Zwiste mit meinem Chef und ergriff unter diesen Umständen mit Begierde und mit der frohen Hoffnung, die ein Ausweg aus einer ruinierten Stellung in neue Verhältnisse gewährt, das Anerbieten meines Vaters, seine hiesigen Güter zu übernehmen, die groß, stark verschuldet und so verwirtschaftet waren, daß sie fraßen, statt einzubringen.

    Ich hielt mich noch 6 Monat in Greifswald auf, um auf der landwirthschaftlichen Akademie in Eldena nichts zu lernen, als was ich in jedem Buche lesen konnte, und setzte mich dann mit der vollen Unwissenheit eines schriftgelehrten Stadtkindes in eine sehr ausgedehnte und verwickelte Wirthschaft. Ich fand mich hinein, rettete den größten Theil meines zu erwartenden Vermögens, und die Beschäftigung gefiel mir zwei Jahre lang bis 41, wegen ihrer Unabhängigkeit; ich habe nie Vorgesetzte vertragen können, und hatte während meiner amtlichen Thätigkeit, theils aus gerechter Abneigung gegen unser verknöchertes Formenwesen, das in keinem Posten die mindeste Aussicht auf Selbständigkeit bietet, theils in der letzten Zeit aus Trägheit und Widerspruchsgeist, einen solchen Widerwillen gegen alles, was mit der Bureaukratie zusammenhängt, eingesogen, daß ich sogar den angenehmen Posten eines Landraths ausschlug, der mir durch Wahl der hiesigen Stände geboten wurde, und den infolgedessen mein Bruder eingenommen hat.

    Ich sprach von 2 Jahren; nach dieser Zeit verliebte und verlobte ich mich abermals, erzürnte mich 14 Tage nachher mit der Mutter meiner Braut, einer Frau, die, um ihr Gerechtigkeit zu thun, eine der bösesten ist, die ich kenne, und die das Bedürfnis hat, noch selbst der Gegenstand zärtlicher Blicke zu sein. Nach fast jahrelangen Intriguen gelang es ihr meiner Braut einen höchst lakonischen Absagebrief an mich in die Feder zu geben. Ich hielt es meiner Würde nicht angemessen, die beleidigte Aufgeregtheit eines Gemüths zu zeigen, und ihr mit einigen Schüssen auf Brüder und dergl. der Ungetreuen Luft zu machen; ich trat in meiner Eigenschaft als Landwehroffizier auf einige Monate zur Dienstleistung in ein Ulanenregiment, focht tapfer gegen Staub und markirte Feinde, und da ich auch im Drange dieser Thaten meine Ruhe nicht fand, brauchte ich das Universalmittel für Verliebte, ich ging auf Reisen und wurde wieder liederlich.

    Von Edinburg durch England und Frankreich trug ich meinen Kummer über die Alpen, und war im Begriff über Triest nach dem Orient zu gehen, eventualiter die Afghanen durch die Lupe zu besehen, wozu ich mit Empfehlungen ausgerüstet war, als mir mein Vater in einem thränenfeuchten Brief, der von einsamem Alter, (73 Jahr, Witwer, taub) Sterben und Wiedersehn sprach, die Heimkehr anbefahl. Ich kam zurück – er starb nicht – und ich suchte in diesem Sommer einem Leiden durch Dieffenbach und Norderney abzuhelfen.

    Vorher, im Frühjahr, machte ich einen sechswöchentlichen Versuch, eine andere Krankheit, eine an Lebensüberdruß grenzende Gelangweiltheit durch alles, was mich umgiebt, zu heilen, indem ich mich durch besondere Vergünstigung eines unserer Minister als Volontär wieder im Staatsdienst beschäftigen ließ, und die angestrengte Arbeit in der insipiden und leeres Stroh dreschenden Schreiberei unserer Verwaltung, als eine Art von geistigem Holzhauen betrachtete, um meinem theilnahmslos erschlafften Geist wieder etwas von dem gesunden Zustande zu geben, den einförmige und regelmäßige Thätigkeit für den Körper herbeizuführen pflegt. Aber theils war mir die krähwinklige Anmaßung oder lächerliche Herablassung der Vorgesetzten nach langer Entwöhnung noch fataler als sonst, theils nöthigten mich häusliche Vorfälle, Unordnungen in meiner Verwaltung, Verlust meines bisherigen Administrators u.s.w. nach meiner Rückkehr von Norderney, die Verwaltung meiner Güter wieder selbst zu übernehmen.

    Seitdem sitze ich hier, unverheirathet, sehr einsam, 29 Jahre alt, körperlich wieder gesund, aber geistig ziemlich unempfänglich, treibe meine Geschäfte mit Pünktlichkeit, aber ohne besondere Theilnahme, suche meinen Untergebenen das Leben in ihrer Art behaglich zu machen und sehe ohne Ärger an, wie sie mich dafür betrügen. Des Vormittags bin ich verdrieslich, nach Tische allen milden Gefühlen zugänglich. Mein Umgang besteht in Hunden, Pferden und Landjunkern, und bei Letzteren erfreue ich mich einigen Ansehens, weil ich Geschriebenes mit Leichtigkeit lesen kann, mich zu jeder Zeit wie ein Mensch kleide, und dabei ein Stück Wild mit der Accuratesse eines Metzgers zerwirke, ruhig und dreist reite, ganz schwere Cigarren rauche und meine Gäste mit freundlicher Kaltblütigkeit unter den Tisch trinke. Denn leider Gottes kann ich nicht mehr betrunken werden, obschon ich mich dieses Zustandes als eines sehr glücklichen erinnere.

    So vegetire ich fast wie ein Uhrwerk, ohne besondere Wünsche oder Befürchtungen zu haben; ein sehr harmonischer und sehr langweiliger Zustand. Meine ehemalige treulose Flamme habe ich öfter wiedergesehn, ihre Mutter scheint gegen unsere Verbindung nichts mehr erinnern zu wollen, doch bin ich auf ihre und ihrer Verwandten Versuche, eine Annäherung zwischen uns einzuleiten, nicht eingegangen; denn, obgleich ich nicht sicher bin, daß alle Neigung in mir erstorben ist, so fürchte ich doch, daß die jahrelang wiedergekäuten Empfindungen einer leichtfertigen Mißhandlung meines innersten und wahrsten Gefühls, der Verrath meines Zutrauens, die Kränkung meines Stolzes, ein residium von Bitterkeit in mir gelassen haben, welches ich nicht glaube, hinreichend unterdrücken zu können, um jener Dame eine so glückliche Zukunft zu sichern, wie ich sie meiner Frau wünsche. Es ist mir beim besten Willen schwer, eine wirklich empfundene Beleidigung halbwegs zu vergessen. –

    Ich habe, um Dir eine ungefähre Ansicht meines jetzigen Standpunktes zu geben, drei Seiten lang, wie ein Affe von mir gesprochen und bitte Dich nun, ein gleiches zu thun, d. h. nicht wie ein Affe, sondern wie ein weiser Mann, der im Begriff ist, sich zu verehelichen, wenns nicht schon geschehen. Schreib mir doch auch was Du von Dammers, Haccius, Hoppenstedt und den andern weißt. Vor 14 Tagen erhielt ich zu meiner großen Überraschung einen Brief von Mitchell King, der die Medizin aufgegeben hat, verheirathet ist, eine Frau, 5 Kinder und viele Neger besitzt, mit denen er Reis und Tabak baut, auch Baumwolle.

    Leb’ herzlich wohl, mein guter alter Freund, und versäume nicht mir bald ausführlich über Deine Begegnisse seit unserer Trennung zu schreiben; ehe wir uns weiter unterhalten können, müssen wir uns erst wieder einander vorstellen und bekannt machen, denn es heißt ja, daß sich nach Jahresfrist nie dieselben Menschen wiedersehn, also nach 11 Jahren? Wir wollen indeß hoffen, daß wir noch etwas vom Alten an uns haben.

    Dein treuer Freund Bismarck