An die Braut Johanna von Bismarck, Berlin, 18. Mai 1847


    Dearest!

    Die letzten Briefe von Reinfeld lassen mich hoffen, daß Dein Unwohlsein nicht so augenblicklich drohend ist, als ich nach der ersten Nachricht fürchtete, wenn ich auch fortwährend von allen möglichen Besorgnissen über Dich heimgesucht bin und mich auf diese Weise in einer ziemlich complicirten Unruhe befinde.

    Die Landtagsverhandlungen nehmen eine für jeden Wohlgesinnten betrübende Richtung; die besten Absichten, die gesetzlichen Handlungen werden aus reinem Partheigeist verkannt und entstellt, und die Regirung befindet sich, bei vollständigem Recht, stets in der Minderheit. Mit äußerster Spannung sehn wir in den nächsten Tagen der Verhandlung über die eigentlich politischen Fragen, wegen Verfassung etc. entgegen. Die Sache ergreift mich viel mehr, als ich dachte. Nimm dazu die unabweisliche Besorgniß um dein Befinden, den Kampf in mir, ob ich hier bleiben oder bei Dir sein soll, so kannst Du Dir erklären, daß ich in einer ununterbrochnen Aufgeregtheit bin, die mich kaum essen und schlafen läßt. Dazu kommen allerhand verdrießliche Geld- und Wirtschaftsgeschäfte; der Pächter von Kniephof [Klug] drängt auf eine frühere Übergabe als verabredet, und so angenehm mir dieß aus vielen Gründen sein würde, so weiß ich doch nicht, wie ich es mit meinen Pflichten vereinigen soll, 3 bis 4 Tage für Kniephof frei zu machen, während es sich hier über die wichtigsten Schicksale des Landes oft um Eine Stimme handelt.

    Sollten zu Pfingsten die Verhandlungen garnicht ausgesetzt werden und in die Sitzungen vor und nach den Feiertagen, wie zu erwarten, grade die eigentlich politischen Fragen fallen, so kann ich Deinen Vater, wenn er selbst reisen sollte, (was ich nicht wünsche und hoffe in dem Fall) nicht begleiten. Du selbst wirst mir darin beistimmen, und ich will und brauch wohl nicht näher zu erörtern, warum ich so handeln muß. Mein Schreiben, worin ich Dich von meiner Einberufung benachrichtigte, hast Du ohnehin einigermaßen und die liebe Mutter gänzlich aus einem andern Punkte aufgefaßt, als er gemeint war. Ich wollte Dir nur meine Lage genau klar machen, und die Entschuldigungen, die Dir etwa gesucht erschienen, wie ich aus Deiner Mutter Brief schließe, betrachte als einen mir durchaus natürlichen Ausfluß der Höflichkeit. Daß ich einer Rechtfertigung bei Dir nicht bedurfte, weiß ich sehr gut; aber auch, daß es uns beide schmerzlich berühren mußte, unsre schönen Pläne gekreuzt zu sehn. Es war mein eifriger Wunsch, Mitglied des Landtags zu sein; daß aber der Landtag und Du 50 Meilen auseinander seid, betrübte mich trotz der Erfüllung meines Wunsches. Ihr Frauen seid und bleibt wunderlich, und es ist besser, mündlich als schriftlich mit Euch [zu] verkehren. –

    Mein armer Bruder hat die Nachricht, daß sein ältester Sohn [Leopold] sehr schwer und wahrscheinlich mit wenig Hoffnung erkrankt ist, da Fanninger selbst äußerst besorgt schreibt. Er ist nun ebenso im Kampf, ob er reisen oder bleiben soll. Ich habe mich einigemal auf [der] Rednerbühne mit wenig Worten aventurirt und erregte gestern einen unerhörten Sturm des Mißfallens, indem ich durch eine nicht deutlich genug gefaßte Äußerung über die Natur der Volksbewegung von 1813 die mißverstandne Eitelkeit vieler von der eignen Parthei verletzte und natürlich das ganze Halloh der Opposition gegen mich hatte. Die Erbitterung war groß, vielleicht grade, weil ich die Wahrheit sagte, indem ich auf 1813 den Satz anwandte, daß Jemand (daß preußische Volk), der von einem Andern (den Franzosen) solange geprügelt wird, bis er sich wehrt, sich daraus kein Verdienst gegen einen Dritten (unsern König) machen kann. Man warf mir meine Jugend und was sonst noch alles vor. Ich muß jetzt vor der heutigen Sitzung hin, um beim Druck nachzusehn, ob sie meine Worte nicht in Unsinn verkehrt haben. Des Abends haben wir allerhand berathende Versammlungen für den Schlachtplan des folgenden Tages, an denen Dein Vater mit seinem heitern laissez faire nicht Theil zu nehmen pflegt.

    Viel Grüße an die Mutter und Dank für ihren Brief. Dein for ever.
    B.