Brief an die Redaktion der Magdeburgischen Zeitung, Schönhausen, 20. April 1848


    Die Befreiung der wegen Landesverraths verurtheilten Polen ist eine der Errungenschaften des Berliner Märzkampfes, und zwar eine der wesentlichsten, da die constitutionelle Verfassung, die Preßfreiheit und die Maßregeln zur Einigung Deutschlands bereits vor Ausbruch des Kampfes gesichert waren. Die Berliner haben die Polen mit ihrem Blute befreit und sie dann eigenhändig im Triumph durch die Stadt gezogen; zum Dank dafür standen die Befreiten bald darauf an der Spitze von Banden, welche die deutschen Einwohner einer preußischen Provinz mit Plünderung und Mord, mit Niedermetzelung und barbarischer Verstümmelung von Weibern und Kinder heimsuchten. So hat deutscher Enthusiasmus wieder einmal zum eignen Schaden fremde Kastanien aus dem Feuer geholt. Ich hätte es erklärlich gefunden, wenn der erste Aufschwung deutscher Kraft und Einheit sich damit Luft gemacht hätte, Frankreich das Elsaß abzufordern und die deutsche Fahne auf den Dom von Straßburg zu pflanzen. Aber es ist mehr, als deutsche Gutmüthigkeit, wenn wir uns mit der Ritterlichkeit von Romanhelden vor Allem dafür begeistern wollen, daß deutschen Staaten das Letzte von dem entzogen werde, was deutsche Waffen im Laufe der Jahrhunderte in Polen und Italien gewonnen hatten. Das will man jubelnd verschenken, der Durchführung einer schwärmerischen Theorie zu Liebe, einer Theorie, die uns ebensogut dahin führen muß, aus unsern südöstlichen Grenzbezirken in Steiermark und Illyrien ein neues Slavenreich zu bilden, das italienische Tyrol den Venetianern zurückzugeben und aus Mähren und Böhmen bis in die Mitte Deutschlands ein von letzterem unabhängiges Czechenreich zu gründen.

    Eine nationale Entwicklung des polnischen Elements in Posen kann kein andres vernünftiges Ziel haben, als das, einer Herstellung eines unabhängigen Reichs zur Vorbereitung zu dienen. Man kann Polen in seinen Grenzen von 1772 herstellen wollen (wie die Polen selbst es hoffen, wenn sie es auch noch verschweigen), ihm ganz Posen, Westpreußen und Ermeland wiedergeben; dann würden Preußens beste Sehnen durchschnitten und Millionen Deutscher der polnischen Willkür überantwortet sein, um einen unsichern Verbündeten zu gewinnen, der lüstern auf jede Verlegenheit Deutschlands wartet, um Ostpreußen, polnisch Schlesien, die polnischen Bezirke von Pommern für sich zu gewinnen. Andrerseits kann eine Wiederherstellung Polens in einem geringern Umfange beabsichtigt werden, etwa so, daß Preußen zu diesem neuen Reich nur den entschieden polnischen Theil des Großherzogthums Posen hergäbe. In diesem Falle kann nur der, welcher die Polen garnicht kennt, daran zweifeln, daß sie unsre geschwornen Feinde bleiben würden, so lange nicht die Weichselmündung und außerdem jedes polnisch redende Dorf in West- und Ostpreußen, Pommern und Schlesien von uns erobert haben würden. Wie kann aber ein Deutscher, weinerlichem Mitgefühl und unpraktischen Theorien zu Liebe, dafür schwärmen, dem Vaterlande in nächster Nähe einen rastlosen Feind zu schaffen, der stets bemüht sein wird, die fieberhafte Unruhe seines Innern durch Kriege abzuleiten und uns bei jeder westlichen Verwicklung in den Rücken zu fallen; der viel gieriger nach Eroberung auf unsre Kosten sein wird und muß, als der russische Kaiser, der froh ist, wenn er seinen jetzigen Koloß zusammenhalten kann, und der sehr unklug sein müßte, wenn er den schon starken Antheil zum Aufstand bereiter Unterthanen, den er hat, durch Eroberung deutscher Länder zu vermehren bemüht sein wollte. Schutz gegen Rußland brauchen wir aber von Polen nicht; wir sind uns selbst Schutz genug.

    Ich halte daher unsre jetzige Politik in Bezug auf Posen, auch wenn man jeden einzelnen Deutschen daselbst dem Deutschen Bunde vorbehält, auch wenn man nur den kleinsten Theil des polnisch redenden Antheils dem übrigen Staat durch Sondereinrichtungen entfremdet, für die bedauerlichste Donquixoterie, die je ein Staat zu seinem und seiner Angehörigen Verderben begangen hat. Die Regierung hat mit Ordnung dieser Angelegenheit einen mehr polnisch, als deutsch gesinnten Mann [Willisen] beauftragt, dessen Benehmen die Armee mit Entrüstung, das Land mit Mißtrauen erfüllt und dessen bei der günstigsten Annahme schwach zu nennendes Verfahren den Mißgriffen in dieser Angelegenheit aufsetzt und sie sanctionirt. Die letzte pomphafte Erklärung dieses Commissars, in der er sich rühmt, durch seine Bemühungen diese Frage friedlich gelöst zu haben, erscheint in den Blättern gleichzeitig mit dem klagenden Hülferuf von Behörden und Privatleuten, die fortdauernd von Todtschlag und Plünderung der Deutschen und von bewaffneten Conflicten mit dem Militair zeugen. Wird das verantwortliche Ministerium des Königs der Nationalversammlung gegenüber die Verantwortung für Alles das übernehmen, was Herr von Willisen in Posen gethan und unterlassen hat, und für die ganze bis jetzt befolgte Richtung unsrer polnischen Politik? Dann wäre es wichtig, sich darüber aufzuklären, ob in Preußen noch dieselben Rechtsgrundsätze gültig sind, welche in dem Polenproceß des vorigen Jahres gegen die Angeklagten zur Anwendung kamen.

    B.S.