Brief an Gustav von Alvensleben, St. Petersburg, 5. Mai 1859


    Lieber Alvensleben

    bei dem angenehmen Eindruck, den mir die heut aus Frankfurt eingehenden Nachrichten geben, denke ich an angenehme Leute u. ergreife die Feder, um Ihnen zu schreiben. Ich war nicht ohne Sorge, denn die Lappen und Garne waren so geschickt um uns her gestellt, daß es einen klaren Blickes und einer festen Hand bedurfte, um uns nicht festschnüren zu lassen. Wenn die hier eingegangenen Depeschen sich bestätigen, so haben wir den östreichischen Angriff abgeschlagen, u. ist Aussicht, daß wir uns auch ferner nicht im Pechstiefel deutscher Redensarten fangen lassen. Oder kommt der hinkende Bote hinterher? Wenn wir bei einer unabhängigen Politik verharren, so wird es mir doppelt schwer, nicht in Frankfurt zu sein. Ich habe so lange mit schlechtem Winde dort segeln müssen, daß mir das Vergnügen, mit „voller Kraft“ durch die schwierigen Bundesgewässer zu fahren, wohl hätte gegönnt werden können. Doch ich will froh sein, wenns nur gut geht. Ich schicke heut einen längeren Bericht an Schleinitz, in welchem ich, ohne zu wissen ob u. wie ich in Berlin damit anstoße, meine Meinung sage. Ich will sie Ihnen noch offen aussprechen.

    Wie gestalten sich die Dinge, wenn man annimmt, Oestreich hätte den unternommenen Kampf siegreich durchgeführt u. Frankreich zum Frieden gezwungen? Dann ist Oestreich also absoluter Herr in Italien, Piemont sein Vasall so gut wie Toscana u. die Lombardei sicher, ohne Anspannung zu großer Kräfte. Schon dadurch, noch mehr aber durch den erfolgreichen Kampf an der Spitze Deutschlands, durch die siegreiche Leitung der Bewegung, die Oestreich hervorgerufen, sichert es sich die vollste Hegemonie in Deutschland auf lange Zeit. Der Krieg ist ein östreichischer, Oestreich hat natürlich die Leitung desselben in der Hand, Deutschlands Fürsten schlagen sich aus freiwilliger Begeisterung oder aus Vasallentreue für die dynastischen Interessen des Hauses Habsburg, die Begeisterung erhält die Weihe einer siegreichen Waffenbrüderschaft, die deutsche Geschichte macht den unerwarteten Schritt vorwärts, daß Oestreichs auswärtige Kriege Deutschlands Kriege sind, es wird Axiom der Bundespolitik, daß die deutschen Truppen die Kriegsreserven der östreichischen Politik sind, u. dieses Axiom hat die feste Grundlage, welche die Erinnerung an glänzende Erfolge, an nationalen Kriegsruhm, ihr verleiht. Die geschickte Lüge, daß Oestreichs Interessen u. zwar nur die Oestreichs, die Interessen jedes deutschen Staates repräsentiren u. involviren, geht in Fleisch u. Blut der deutschen Einrichtungen und Ansichten über. Daß die östr. Finanzen dabei bankrott machen, ist schon öfter dagewesen u. stört erfahrungsmäßig den Schwindel nicht; gerade die Kühnheit des Unternehmens besticht oder blendet, wenn es gelingt. Es ist kein Zweifel, daß die Stellung Oestreichs glänzender wie je sein würde, wenn es ihm gelingt, Deutschland in die Bahnen seiner Politik hineinzureißen und an der Spitze des deutschen Bundes Frankreich zu demüthigen.

    Und was wird daneben aus uns? Nehmen wir zuvörderst einmal an, wir blieben neutral, erhielten den Bund in derselben Lage, und Oestreich allein schlüge die Franzosen aus Italien; es sagte uns dann: Du siehst, wir haben es auch ohne Dich gekonnt; die andern Bundesregirungen und Gesandten würden dem Vertreter „ihres“ östr. Kaisers von Herzen Glück und Siege wünschen, wir würdens nicht können, u. Oestreich würde eine festere, wir eine isolirtere Stellung am Bunde haben, die öffentliche Meinung in Deutschland aber würde sich von uns ab zu dem Sieger Frankreichs wenden u. ihn bewundern u. sich u. Deutschland in ihm gehoben fühlen, wie nach dem 7jähr. Kriege in Friedrich dem Gr.
    Nehmen wir zweitens an, daß wir neutral blieben, die andern deutschen Staaten aber alle oder zum Theil sich Oestreich anschließen, wie das die Bundes-Schluß-Acte jedem Einzelnen allenfalls gestattet, und an der Spitze dieser Deutschen ohne Preußen siegte Oestreich über Frankreich. Wie wir demnächst am Bunde isolirt und „drunter durch“ sein würden, brauche ich nicht auszumalen.

    Die dritte Chance nun ist die, daß auch wir Oestreichs Sache zur unsrigen machen. Wir würden das nicht mit dieser freudigen Hingebung für die Sache thun, wie jene kleineren Bundesstaaten, deren Bedürfnisse in erster Linie dahin gehen, sich eine sichre Existenz im Bundesverhältniß unter östreichischem Präsidialschutz auszubilden, im Vergleich zu Preußen viel mitzureden u. wenig zu leisten, zu Hause souverän u. äußerlich große Vasallen der östreichischen Politik zu sein. Unsere Ansprüche gehn weiter, das haben wir gezeigt, u. lassen wir uns dennoch mit einspannen, so sieht jeder, daß es nicht recht freier Entschluß ist, getragen von Preußischen Interessen, sondern es würde eben heißen, „wir möchten wohl was andres vorstellen, aber wir wagen’s nicht.“ Da wir voran bei Frankreich liegen, so würden wir größere Gefahr laufen, schwerere Lasten tragen u. erschöpfter u. athemloser am Siegespfahl anlangen, als Oestreich. Und was würde unser Dank sein? Die deutschen Bundesgenossen, die ehrlich mit uns u. Oestreich durchgehalten haben, werden wir doch nach dem Siege nicht die Zeche zahlen lassen. Was aber könnten w i r von Frankreich brauchen? Elsaß ist zu weit ab. Wir würden uns mit dem Bewußtsein, Oestreich seine Genugthuung gegen Sardinien u. Frankreich mit verschafft zu haben, begnügen müssen. Unser Bundesverhältniß aber, welches ja nach dem Wortlaute nichts u. alles sein kann, welches seine reelle Bedeutung nur aus dem Geiste entnimmt, der in ihm herrscht, würde vermöge unserer eignen Opfer u. Anstrengungen, so wie ich es Seite 2 geschildert habe, zu unserm Schaden malificirt sein. Wir würden eben unsre Unterwerfung unter die östreichisch-mittelstaatliche Bundes-Politik thatsächlich vollzogen haben, und die Ereignisse u. den historischen Eindruck, durch welche diese Thatsachen sanctionirt und festgelegt würden, nicht wieder verwischen können.

    Ich glaube nicht, daß ich die Nachtheile und Gefahren, welche unser Sieg im Bunde mit Oestreich uns bringen würde, übertrieben geschildert habe. Jedenfalls wird es schwer sein nachzuweisen, daß dieser zu erringende Sieg über Frankreich unschädlich für Preußens Unabhängigkeit von Oestreich sein werde. Was sollen wir aber mit einem Kriege, bei dem wir befürchten müssen, daß der Sieg uns ebenso bittre Früchte bringt als die Niederlage? bei dem wir im günstigsten Falle für unsere Rechnung geschlagen werden, aber nur für Oestreichs Rechnung siegen können; bei dem wir aber wahrscheinlich Oestreich zugleich zum Siege über uns selbst verhelfen?

    Die gegenwärtige Lage hat wieder einmal das große Loos für uns im Topf, falls wir den Krieg Oestreichs mit Frankreich sich scharf einfressen lassen, und dann mit unsern ganzen Armeen nach Süden aufbrechen, die Gränzpfähle im Tornister mitnehmen und sie entweder am Bodensee oder da, wo das protestantische Bekenntniß aufhört vorzuwiegen, wieder einschlagen. Wo ist denn außer uns noch ein europäischer Staat, dem 18, oder wenn ich die Katholiken in Oberbaiern u. Oberschwaben abrechne, 14 Millionen zwischen seinen eignen schlecht zusammengefügten Gliedern umher liegen, und nichts weiter von ihm wollen, als ihm angehören? Alle diese Leute schlagen sich ja 24 Stunden, nachdem wir sie in Besitz genommen haben, für uns besser wie je für ihre frühere Obrigkeit, besonders wenn der Prz. Regent ihnen den Gefallen thut, das Königreich Preußen in Königreich Deutschland umzutaufen. Und wir brauchen niemand von Land u. Leuten zu jagen, nur ein andres Bundesverhältniß einzuführen, nach welchem Heer und Zollwesen in der Hand des preußischen Präsidiums bleibt. Wir brauchten auch die Fürsten in ihren Residenzen nachher gar nicht zu beargwöhnen; ihre Unterthanen würden der Rückkehr zur Kleinstaaterei ebenso sicher ihren Beistand versagen, als jetzt etwa die standesherrlichen in Wied oder Witgenstein. Ist Baiern zu dick für ein solches System, so kann man ihm die Katholiken in Schwaben für Franken geben, und es herauslassen, oder besser, man kann es dünner machen, indem Anspach-Baireuth ihren angestammten Herrschern wieder zufallen.

    Sieht dieses alles, was meiner Ansicht nach das sicherste Spiel ist, was wir spielen können, zu abentheuerlich aus, so sollten wir doch wenigstens diesen günstigen Moment benutzen, um ein Bundesverhältniß los zu werden oder zu ändern, welches uns von Hause aus keine würdige Stellung und keine unsern Pflichten und unserer Macht entsprechenden Rechte gewährt. Ich kann die Gefahren, welche in dem Bundesverhältnisse für Preußen liegen, nicht beredter darlegen, als die jetzigen Vorgänge in Frankfurt es thun, obschon ich seit 8 Jahren darüber predige. Die jetzige Richtung der Majorität gegen uns hat ja keine augenblicklichen und vorübergehenden Motive, sie ist die natürliche Lebensrichtung der Mittelstaaten für alle Zeit, und welche andre Sprache würden diese Herren gegen uns führen, wenn sie mit uns allein auf der Welt wären, wir vom Kriege mehr als sie und Oestreich erschöpft, und das siegende Oestreich in Italien nicht nur sicher, sondern gestützt auf Italiens Hülfsquellen! Sie würden uns die Hosen gut strammziehen!

    Wollen wir diese Krisis auch dazu nicht benutzen, daß wir uns den Stricken der Bundesphilister entwinden und Oestreichs Delilascheere von unserem Haupte fern halten, dann sehe ich doch wahrlich nicht ein, wozu wir unsere Millionen wegwerfen und die Söhne unserer Bauern sollen todtschießen lassen (vom Edelmann rede ich nicht, er ist dazu da!). Dann sitzen wir still, zufrieden mit unserm Kommißbrot und belassen es bei der Localisirung des Krieges, die uns von Frankreich und Rußland auf dem Präsentirteller geboten wird, und deren Annahme nur von uns abhängt. Ich verstehe nicht, weshalb wir so lange zögern sie anzunehmen. Sie gewährt die Bürgschaft Rußlands gegen Frankreich, was viel ist, und sie gewährt dem Kriege einen Abschnitt, an welchem er entweder Halt macht oder uns das Recht zum Eingreifen giebt, bevor Oestreich niedergeworfen werden kann; denn in Italien allein kann es doch nicht vernichtet werden, und ist es etwas geschwächt, so wird dafür Frankreich nicht minder außer Athem sein, denn mit einem Spatzirstock ist die Oestreichische Armee nicht aus der Lombardei zu jagen. Auch wenn wir höheres Spiel versuchen wollten, wäre diese Localisirung immer die erste Grundlage dazu.

    Ich habe von der möglichen Einmischung Rußlands bisher nicht gesprochen, da sie in dem obigen Räsonnement nichts ändert, als daß sie den Sieg Oestreichs unwahrscheinlich macht; seine Consequenzen aber würden immer dieselben sein, möchte er gegen Frankreich allein oder gegen dieses und Rußland erfochten sein; ja sie würden in letztrem Falle sich noch viel schärfer in der oben geschilderten Richtung ausprägen; der Fall des Sieges selbst und das Zusammenhalten Deutschlands im Falle der Theilnahme Rußlands wird aber allerdings viel weniger wahrscheinlich. Die Chancen, daß es uns und Oestreich schlecht geht, werden dann noch nicht zur Gewißheit, so ängstlich bin ich nicht; aber sie mehren sich doch, besonders weil dann bei den ersten Unglücksfällen im Westen die Meldungen von Separatverträgen einzelner deutscher Staaten nicht ausbleiben werden.
    Rußland ist sich darüber ganz klar, daß es weder Oestr[eich]s Sieg noch Frankreichs Demüthigung oder Napoleons Untergang zulassen kann; ich habe das heut in meinem amtlichen Bericht an Schleinitz weiter ausgeführt. Rußland wäre isolirt, aber auf unser zweifelhaftes Wohlwollen allein angewiesen, wenn man das napoleonische Frankreich aus der Staatenliste streicht und ihm ein katholisch legitimistisches, ein östreichisches oder republikanisches substituirt, mit beiden letzteren hat Rußland keine Beziehungen, das erstre aber würde genug an sich selber zu tragen haben. Ohne mich also in Combinationen über Rußlands Stellung zum Kriege zu erschöpfen, kann ich das mit Gewißheit behaupten, daß Rußland, so lange es noch Kriegsmittel hat, Oestreich nicht siegen und Frankreich nicht unterliegen läßt. Da wir also, wenn wir zu Oestreich stehn, doch auf dessen Sieg hinarbeiten müssen, so müssen wir auch den russischen Krieg in solchem Falle als unvermeidlich in unsre Berechnungen aufnehmen.

    Ich muß mich jetzt ankleiden, um der großen Parade beizuwohnen, zu der mich der Kaiser, ohne einen Wunsch von meiner Seite, als „Militär“ persönlich eingeladen hat. Ich betone dies, weil ich unter den hiesigen Verhältnissen den Wunsch, dabei zu figuriren, nicht haben kann. Der Russe hat kein Verständniß für die ernste Seite der Sache, er sieht nur das Komische darin, daß jemand in meinen Jahren, mit meiner Corpulenz u. in meiner Stellung Lieutenant ist. Für den diplomatischen Dienst ist es allerdings sehr wünschenswerth, daß ich auf der Liste der diplomatischen Parade-Gäste verbleibe; außer mir ist nur Ossuna, der Spanier, als titulärer Brigade-General darauf, u. hauptsächlich dadurch in näherem persönlichen Verhältnis zum Kaiser. Die Paraden und Manöver sind, neben den großen Winterfesten u. allenfalls Winterjagden, die einzigen Gelegenheiten, bei denen ich S. M. sehen kann.

    Ich habe nie in meinem Leben irgendeine Beförderung oder Auszeichnung erbeten, sondern mir an der gnädigen Gesinnung S. M. des Königs und S. K. H. des Regenten u. an dem Bewußtsein, meine Schuldigkeit gethan zu haben, genügen lassen. Das einzige, was ich je erbeten habe, ist, mich zum Rittmeister zu machen, eigentlich keine ehrgeizige Überhebung, da ich der Aelteste im Verbande bin, u. ich kann es nicht einmal aus persönlichen Gründen wünschen, denn ich bin an Ehren und Würden anderweit reichlich bedacht worden; sondern ich betrachte es als Hülfsmittel des diplomatischen Dienstes hier, daß ich eine militärische Charge nebenher habe, in der ich wenigstens nicht Gegenstand der Heiterkeit bin. Der alte Liebermann ist gewiß nicht ohne Noth hier bei jeder militärischen Gelegenheit in der Majors-Uniform gewesen.

    Soll ich Einfluß beim Kaiser gewinnen, so muß man mir die Mittel geben mich ihm zu nähern, u. schwerlich würde ein so leichtes wie dieses irgend wo anders als bei uns verschmäht werden. Außerdem hat es mir der Prinz selbst vor meiner Abreise versprochen; kann er es nun nicht übers Herz oder übern Manteuffel bringen, daß es wirklich geschieht?

    Ich bitte Sie, den politischen Theil des Briefes Sr. K. H. mitzutheilen, wenn Sie nicht gegen einzelne Stellen große Bedenken haben, ihn auf meinen heutigen Bericht an Schleinitz als Ergänzung aufmerksam zu machen u. in Betreff meines Lieutenant-Schmerzes, ihn in meinem Namen an Seine Zusage leise zu erinnern u. Ihn zu fragen, ob um dieser Manteuffelschen Pedanterie willen mir die Gelegenheit zum Kaiser zu kommen, verkümmert werden soll; denn als Lieutenant ist es hier nicht von mir zu verlangen.

    Sonst thut man mir hier nichts zu Leide, nur mit der Gesundheit ist es wunderlich, aber kein Wunder, bei 5 Grad Kälte mit scharfem Wind am 6. Mai. Ich bin noch keinen Tag recht wohl gewesen, besonders Augenentzündung mit nächtlichem Dechiffriren u. arbeiten hat mich so weit gebracht, daß ich bei Licht für jetzt außer Gefecht bin. Sagen Sie davon aber ja nichts an meine Frau; sie ist sehr ängstlich, aber grüßen Sie Ihr. Theuerer ist es hier! wenn man die Nase zum Fenster hinausgesteckt hat, kostets 100 Rubel. Halb bin ich schon ruinirt.

    Eben komme ich von der Parade, sehr gelungenes Schauspiel, trotz Wind, Staub u. Schnee. Der Kaiser ließ mich während des ganzen Vorbeimarsches neben sich halten u. nannte mir, deutsch sprechend, jeden Truppentheil, u. wie u. wo; für einen Lieutenant eine ungewöhnliche Auszeichnung. Das dauerte etwa 2 Stunden, u. die Pferde zitterten schließlich vor Kälte. S. M. sagten mir wiederholt die schmeichelhaftesten [Worte] über unsre Truppen u. Einrichtungen u. machte mich auf das aufmerksam, was hier nachgeahmt worden, in Gepäcktragen, Anzug u.s.w. Heut abend fahre ich auf den Auerhahn, den ich morgen früh zwischen 3 u. 4 in sumpfiger Waldung mit der dem altmärkischen Burggesessenen eigenen Umsicht u. Gewandheit anzuspringen gedenke. Leben Sie wohl, u. lassen Sie uns nicht in den Kaiserlichen Armee-Schematismus aufgehn mit unserm Preußenthum.

    Der Ihrige
    v. B.