Brief an die Schwester Malwine von Arnim-Kröchlendorff, Biarritz, 20. August 1862
Mein liebes Herz
ich bin in Biarrits hängen geblieben, an der Schwelle der Pyrenäen, die ich vielleicht noch betrete. Das Seebad bekam mir zunächst so ausgezeichnet, daß ich die Abreise von einem Tage zum andern aufschob, obschon ich mich etwas einsam fühlte. Seit die Orlows gekommen sind, lebe ich mit ihnen, als ob wir allein auf dem Lande wären, und habe mich etwas in die niedliche principesse verliebt. Du weißt, wie mir das gelegentlich zustößt, ohne daß es Johanna Schaden thut.
Wir baden des Morgens, gehn dann in die Klippen, frühstücken in einer entlegnen Schlucht hinter dem Leuchtthurm, wo ich augenblicklich neben einer gelb und blauen Robe auf dem Rasen sitze, zwischen zwei haidebraunen Felsen, auf grüne Wellen und weißen Schaum blickend, diese Zeilen schreibe; große weiße Möven mit schwarzen Flügeln schweben und kreischen in der Höhe, und die allgegenwärtige Tamarinde beschattet uns ausreichend gegen die glühende Sonne eines „schönen Wetters“, d. h. 25° im Schatten, nur hier nicht, wo die See-Brise kühlt. Einige Birnen, Pfirsich und Hunde liegen neben uns, Orlow (Du kennst ihn doch, mit der schwarzen Binde auf dem Auge, der Gesandte in Brüssel) sitzt rauchend und lesend, seine Frau schreibt wie ich. Sie würde auch Dir sehr gefallen. Figur und Aeußeres etwa wie die Croy, dabei sehr originell, gescheut und lustig, etwas excentrisch, wie ihre Landsmänninnen zu sein pflegen, aber civilisirt durch französich-deutsche Erziehung; ihre Eltern (Trubetzkoi) wohnen seit 20 Jahren in Fontainebleau.
Um 3 nehmen wir das zweite Bad, essen um 5, gehn dann wieder spatziren und lagern im Seewind bis zur Schlafenszeit auf dem Haidekraut. Ein behagliches Stilleben, bei dem ich Berlin und Paris (aber nicht Reinfeld) vergesse, und von dem ich mich mit sehr lieben Erinnerungen trennen werde, wann? Die Frage lege ich mir täglich vor und verschiebe die Beantwortung auf morgen, indem ich mit Recht mich darauf berufe, daß ich seit 6 Jahren nicht so gesund gewesen bin, wie jetzt hier. Ich klettre und gehe den ganzen Tag wie eine Ziege, liege im feuchten Gras ohne Furcht vor Rheuma und werde täglich ein Jahr jünger, also wenn ich noch lange bleibe, studentisch oder kindisch.
Außer meiner Nachbarin kenne ich hier nur eine alte Gräfin Blacas und ihre Enkelin, ein hübsches tanzlustiges Fräulein, mit der ich einige Mal walzen mußte, ehe Orlows kamen; das gros der übrigen Gesellschaft sind Spanier, von guter Familie und schlechter Erziehung; sie sprechen keine europäische Sprache, und ich weiß nichts mit ihnen aufzustellen. Sehr mal à propos kamen mir vor 3 Tagen Galens aus Madrid hier an, er, sie und der Sohn, attaché in Wien, sie störten mein Behagen durch ihre Ansprüche an landsmannschaftliche Gastlichkeit, und es wurde mir schwer, freundlich zu ihnen zu bleiben, vielleicht gelang es mir wirklich nicht, und die Alte wird Geschichten über mich ausbringen. Heut sind sie fort!! Meinethalben; ich werde alt und dickfellig gegen das qu’en dira-t-on.
Wenn Du mir schreiben willst, so adressire nach Paris, als ob ich dort wäre; von da behält man mich im Auge. Ich trete meinen Rückzug von hier jedenfalls über Pau, Barrèges, Toulouse, Marseille an, nur heut noch nicht. Von Bernstorff hatte ich vor einigen Tagen einen veralteten Brief vom 5. Er wünscht, daß der Stellenwechsel, „wenn er sich überhaupt auf das Fachministerium erstrecken soll“, jedenfalls vor Ende September stattfinde. Ich gehe vor Ende meines Urlaubs, der etwa den 14. abläuft, nach Berlin und Pommern. Vorher habe ich Angst in Berlin im sonnigen Gasthof vor Anker gelegt zu werden. Dann muß sich mein Geschick entscheiden, mir ist es einerlei, wie. Leb wohl, liebes Herz, die Sonne kommt aufs Papier, und dafür, daß ich auf meinem rechten Bein schreibe, ist der Brief bisher recht leserlich. Mendelsohns Briefe liegen freilich noch darunter.
Herzliche Grüße an Oscar. Dein treuster Bruder
v. B.