Erlass an Karl von Werther, Berlin, 14. Juni 1864

    Ich füge meinem heutigen Erlaß noch einige ganz vertraulichen Bemerkungen hinzu, welche Ew. pp. als Anhaltspunkte bei Ihren Besprechungen mit dem Grafen von Rechberg zu dienen bestimmt sind.

    Ich habe gesagt, daß bei einem kriegerischen Auftreten Englands hauptsächlich Preußen der leidende Teil sein würde. In der Tat würden schon bloße Demonstrationen Englands durch die Besorgnisse, welche sie hervorrufen und den lähmenden Einfluß, welchen sie auf Handel und Schiffahrt üben würden, sehr nachteilige Folgen für uns haben; und daß bei wirklichem Kriege unsere Interessen die am meisten exponierten sind, bedarf nicht erst der Ausführung. Für Österreich würde dagegen die Hauptgefahr immer darin liegen, daß die Hebel der Revolution in Venetien wieder angesetzt würden. Hierzu würde England aber notwendig der Hilfe Frankreichs bedürfen, ohne dessen Mitwirkung diese Mittel nicht in ausreichendem Maße angewendet werden können, und welches sie sicher nicht zu Gunsten Englands, sondern nur in seinem eigenen Interesse in einem Kriege, den es für eigene Zwecke unternähme, in Bewegung setzen würde.

    Ich glaube nicht, daß der Kaiser der Franzosen im gegenwärtigen Augenblick einen solchen Krieg beabsichtigt. Es wird zwar von inneren Schwierigkeiten geredet, denen er eine äußere kriegerische Ableitung zu geben wünschen könnte; doch scheint die Situation nicht drängend genug, um die unzweifelhaft in einem großen Teile von Frankreich und bei dem Kaiser selbst, wie wir glauben, jetzt vorhandene Friedensliebe zu überwiegen. Von außen her steht ihm eben jetzt keine Macht oder kein Bündnis in so drohender Weise gegenüber, daß die Rücksicht darauf ihn dazu treiben könnte, durch extreme Entschlüsse einer ungünstigen Eventualität entgegenzutreten. Eine kontinentale Koalition aber gegen sich hervorzurufen, selbst wenn er des nachhaltigen Beistandes von England ganz sicher wäre, kann nicht in seiner Absicht liegen. Die Gefahren eines solchen Krieges würden Frankreich allein treffen, denn der Kaiser Napoleon kann nicht im Zweifel darüber sein, daß die Koalition die notwendige Folge eines aggressiven Vorgehens gegen Deutschland, gegen eine der beiden oder beide deutschen Großmächte wäre.

    Wir selber hegen ebensowenig Zweifel darüber, daß keine der beiden deutschen Mächte in einem solchen von Frankreich provozierten Kampfe allein stehen würde, denn keine von beiden kann das Vordringen französischer Truppen in das Gebiet der andern, oder gar die Niederwerfung der letztren ertragen, ohne die eigne Unabhängigkeit zu gefährden. Daß Preußen und Österreich einer Aggression Frankreichs aus Anlaß der dänischen Verwicklungen, möge sie nun zunächst gegen den Oberrhein oder gegen den Niederrhein gerichtet sein, mit vereinten Kräften entgegentreten würden, und daß die Versuche, Zwietracht zwischen beiden Mächten zu säen, und sie voneinander zu trennen, welche Ew. pp. in Ihrem früheren vertraulichen Bericht angedeutet haben, ganz erfolglos sind, sehen wir als selbstverständlich an.

    Aber auch Rußland würde unserer festen Überzeugung nach in solchem Falle nicht untätig bleiben. Rußland kann ebensowenig wie Preußen und Österreich selbst zugeben, daß französische Heere in die Mitte Deutschlands vordringen; es weiß, daß dies nur der Weg nach seinen eigenen polnischen Provinzen wäre, und daß das siegreiche Auftreten Frankreichs in Deutschland, die Niederlage Preußens oder Österreichs, das Erscheinen französischer Heere in Posen oder Krakau seiner eigenen Macht an die Wurzeln greifen würde; daß endlich der Sieg Frankreichs der Sieg der Revolution wäre. Je fester und energischer die deutschen Mächte – welche in solchem Falle auch über die Hilfsquellen des übrigen Deutschland mit Sicherheit würden verfügen können, eventuellen Drohungen Frankreichs gegenüber aufträten, um so sicherer würden sie auch auf die Hilfe Rußlands zählen dürfen. Wir glauben, daß die drei kontinentalen Großmächte nebst dem übrigen Deutschland bei einträchtigem Zusammenwirken, wie es durch die Natur der Sache geboten sein würde und durch die Gesinnung der Monarchen und der leitenden Staatsmänner verbürgt wird, der französischen Macht, auch wenn sie durch die italienische verstärkt wird und diese einen Teil der österreichischen Kräfte abzieht, mehr als gewachsen sind, und daß sie daher auch eine solche Eventualität nicht zu fürchten brauchen, wenn einmal der Krieg unvermeidlich wird; wir glauben aber auch, daß der Kaiser Napoleon alles dies sehr gut weiß und es sich nicht verhehlt, und daß diese Erwägungen ihn wenig geneigt machen werden, jene Eventualität selbst hervorzurufen.

    Die englischen Staatsmänner aber werden doch nicht umhin können, sich zu sagen, daß ein ohne Frankreich angefangener Krieg, welchen sie auf dem bloß maritimen Wege zu einem raschen Ende zu bringen nicht die Mittel haben, zuletzt nur zu Gunsten Frankreichs ausschlagen würde.

    Diese Erwägungen scheinen uns zu nahe zu liegen, als daß sie auch dem Wiener Kabinett entgehen könnten. Sie scheinen mir aber dringend dafür zu sprechen, daß die beiden deutschen Mächte sich durch die Besorgnis vor dem Druck des englischen Kabinetts, vor etwaigen Demonstrationen kriegerischer Natur auf seiten des letzteren, ja eventuell selbst vor einer kriegerischen Aktion Englands und einem Bündnis dieser Macht mit Frankreich in der Verfolgung des großen Ziels der Konsolidierung monarchischer Interessen im eignen Lande nicht irremachen lassen, und daher auch jetzt eine Wiederaufnahme der Feindseligkeiten einem ungenügenden Frieden vorziehen sollten.