Brief an Karl Friedrich von Savigny, Varzin, 9. Juli 1867

     

    Durch die Mitteilungen, die mir Herr von Thile über seine Korrespondenz mit Ihnen macht, bin ich genötigt, in Auflehnung gegen das ärztliche Regime, Ihnen geschäftlich zu schreiben. Gewiß war es meine von Seiner Majestät dem Könige gebilligte Meinung, daß die Stellung des Bundeskanzlers, wie sie der Verfassungsentwurf im Auge hatte, Ihnen zufallen sollte. Durch die Revision der Verfassung ist diese Stellung aber eine andere, und zwar eine solche geworden, daß der Kanzler bis zu einem gewissen Grade, wenn nicht rechtlich, doch faktisch, der Vorgesetzte des Preußischen Staatsministeriums geworden ist.

    Durch die Revision ist die Bestimmung in die Verfassung gekommen, daß der Kanzler alle Verfügungen der Bundesgewalt verantwortlich kontrasigniert. Sie sind mit dem konstitutionellen Staatsrecht zu vertraut, um nicht darüber klar zu sein, daß der Kanzler dadurch die maßgebende Entscheidung für die Ressorts des Preußischen Handels-, Kriegs-, Marineministeriums, des wichtigeren Teiles des Finanzministeriums und, wenn die Bundesverfassung sich richtig entwickelt, des auswärtigen Ministeriums unter unmittelbarem Befehle Seiner Majestät des Königs in die Hand bekommt, je nachdem er den Reichstag beeinflußt und demnächst seine Kontrasignatur gewährt oder verweigert. Nach dieser Änderung kann daher der Kanzler nur zugleich Präsident des Preußischen Staatsministeriums sein, wenn die neue Maschine überhaupt fungieren soll.

    Vor jener Änderung war der Bundeskanzler, wie Sie sich aus unseren Besprechungen erinnern werden, als der höchste, aber doch als ein Beamter des auswärtigen Ministeriums gedacht, der von dem Chef des letzteren seine Instruktionen zu empfangen hatte, eine Art von Bundespräsidialgesandter mit parlamentarischer Tätigkeit, aber unter der Verantwortlichkeit des ihm vorgesetzten auswärtigen Ministers von Preußen, dessen faktischer Vorgesetzter der Kanzler dagegen, ebenso wie für den sächsischen oder hessischen auswärtigen Minister wird, sobald er selbst unter eigener Verantwortung kontrasigniert.

    Wollen Sie mir das Amt des auswärtigen Ministers und des Präsidiums abnehmen, so machen Sie mich glücklich, wenn Seine Majestät der König diesen Tausch gutheißen will, ich werde Ihnen vielleicht zehn Jahre Leben danken. Solange ich aber die jetzige Stellung inne habe und dem Könige für dieselbe verantwortlich bin, kann ich einem Bundeskanzler oder Vizekanzler neben mir keine politische Selbständigkeit und damit verbundene Verantwortung und keine politische Mitwirkung über die Kompetenz eines meine Instruktionen, wie sie aus meinem Vortrage beim Könige sich ergeben, befolgenden Beamten des auswärtigen Ministeriums einräumen und kann dem Amte des Vizekanzlers keinen anderen Grad von Unabhängigkeit verbürgen, als den eines Botschafters im Auslande oder eines früheren österreichischen Präsidialgesandten.

    Da der Bundesrat Anfangs August in Funktion treten wird, so bedarf es Ihrer Entscheidung darüber, ob Sie unter diesen Bedingungen die Stellung des Vizekanzlers übernehmen, mit möglichster Beschleunigung, wie dieselbe auch ausfallen mag, so brauche ich Ihnen, wir kennen uns zu lange dazu, nicht zu versichern, daß ich jeden Anteil an den Geschäften unseres Vaterlandes mit Vertrauen in Ihren Händen sehen würde, und daß meine Auffassung nur der Notwendigkeit einheitlicher Leitung unseres auswärtigen Dienstes entspringt.

    Ich bin danach gewiß, daß eine etwaige sachliche Meinungsverschiedenheit Ihren Glauben an die Gefühle der Freundschaft und Dankbarkeit, die mich für immer Ihnen verbinden, nicht berühren kann.