Runderlass an die Missionen, Berlin, 18. Juli 1870


    Das Auftreten der französischen Minister in den Sitzungen des Senats und des Gesetzgebenden Körpers am 15. d. M. und die dort mit dem feierlichen Charakter amtlicher Erklärungen vorgebrachten Entstellungen der Wahrheit haben den letzten Schleier von den Absichten hinweggenommen, welche schon keinem Unbefangenen mehr zweifelhaft sein konnten, seit das erstaunte Europa zwei Tage zuvor aus dem Munde des französischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten vernommen hatte, daß Frankreich mit dem freiwilligen Verzicht des Erbprinzen nicht befriedigt sei und noch mit Preußen Verhandlungen zu führen habe.

    Während die übrigen europäischen Mächte mit Erwägungen beschäftigt waren, wie sie dieser neuen und unerwarteten Phase begegnen und vielleicht auf diese angeblichen Verhandlungen, deren Natur und Gegenstand niemand ahnen konnte, einen versöhnenden und vermittelnden Einfluß üben sollten, hat die französische Regierung es für gut befunden, durch eine öffentliche und feierliche Erklärung, welche den Drohungen vom 6. d. M. unter Entstellung bekannter Thatsachen neue Beleidigungen hinzufügte, die Verhältnisse auf eine Spitze zu treiben, wo jeder Ausgleich unmöglich werden und, indem den befreundeten Mächten jede Handhabe der Einwirkung entzogen würde, der Bruch unvermeidlich werden sollte. Schon seit einer Woche konnte es für uns keinem Zweifel mehr unterworfen sein, daß der Kaiser Napoleon rücksichtslos entschlossen sei, uns in eine Lage zu bringen, in der uns nur die Wahl zwischen dem Kriege oder einer Demütigung bliebe, welche das Ehrgefühl keiner Nation ertragen kann. Hätten wir noch Zweifel hegen können, so hätte uns der Bericht des Königlichen Botschafters über seine erste Unterredung mit dem Herzog von Gramont und Herrn Ollivier nach seiner Rückkehr aus Ems, in welcher ersterer den Verzicht des Erbprinzen als Nebensache bezeichnete und beide Minister die Zumutung aussprachen, Seine Majestät der König solle einen entschuldigenden Brief an den Kaiser Napoleon schreiben, dessen Publikation die aufgeregten Gemüter in Frankreich beschwichtigen könne. Abschrift dieses Berichtes füge ich bei; er bedarf keines Kommentars.

    Der Hohn der französischen Regierungspresse antizipierte den erstrebten Triumph; die Regierung aber scheint gefürchtet zu haben, daß ihr der Krieg dennoch entgehen könnte, und beeilte sich, durch ihre amtlichen Erklärungen vom 15. d. M. die Sache auf ein Feld zu verlegen, auf dem es keine Vermittlung mehr gibt, und uns und aller Welt zu beweisen, daß keine Nachgiebigkeit, welche innerhalb der Grenzen nationalen Ehrgefühls bliebe, ausreichend sein würde, um den Frieden zu erhalten.

    Da aber niemand im Zweifel darüber war und sein konnte, daß wir aufrichtig den Frieden wollten; und wenige Tage zuvor keinen Krieg möglich hielten, da jeder Vorwand zum Kriege fehlte und auch der letzte künstlich und gewaltsam geschaffene Vorwand, wie er ohne unser Zutun erfunden, so auch von selbst wieder verschwunden war; da es somit gar keinen Grund zum Kriege gab, blieb den französischen Ministern, um sich vor dem eigenen, in der Mehrheit friedlich gesinnten und der Ruhe bedürftigen Volke scheinbar zu rechtfertigen, nur übrig, durch Entstellung und Erfindung von Tatsachen, deren Unwahrheit ihnen actenmäßig bekannt war, den beiden repräsentativen Körperschaften und durch sie dem Volke einzureden, es sei von Preußen beleidigt worden, um dadurch die Leidenschaften zu einem Ausbruch aufzustacheln, von dem sie sich selbst als fortgerissen darstellen konnten.

    Es ist ein trauriges Geschäft, die Reihe dieser Unwahrheiten aufzudecken; glücklicherweise haben die französischen Minister diese Aufgabe abgekürzt, indem sie durch die Weigerung, die von einem Teil der Versammlung geforderte Vorlage der Note oder Depesche zu gewähren, die Welt darauf vorbereitet haben, zu erfahren, daß dieselbe gar nicht existiere.

    Dies ist in der Tat der Fall. Es existiert keine Note oder Depesche, durch welche die preußische Regierung den Kabinetten Europas eine Weigerung, den französischen Botschafter zu empfangen, angezeigt hätte. Es existiert nichts als das aller Welt bekannte Zeitungstelegramm, welches den deutschen Regierungen und einigen unserer Vertreter bei außerdeutschen Regierungen nach dem Wortlaute der Zeitungen mitgeteilt worden ist, um sie über die Natur der französischen Forderungen und die Unmöglichkeit ihrer Annahme zu informieren, und welches überdies nichts Verletzendes für Frankreich enthält. Der Text desselben erfolgt hierbei. Weitre Mittheilungen haben wir über den Incidenzfall an keine Regierung gerichtet.

    Was aber die Tatsache der Weigerung, den französischen Botschafter zu empfangen, betrifft, so bin ich, um die Behauptung in ihr rechtes Licht zu stellen, von Seiner Majestät dem Könige ermächtigt worden, Ew. pp. mit dem Ersuchen der Mitteilung an die Regierung, bei der Sie beglaubigt zu sein die Ehre haben, die beiden anliegenden Aktenstücke zu übersenden, von denen das erste eine auf Befehl und unter unmittelbarer Approbation Seiner Majestät des Königs redigierte buchstäblich getreue Darstellung der Vorgänge in Ems, das zweite den amtlichen Bericht des Flügeladjutanten Seiner Majestät vom Dienst über die Ausführung des ihm gewordenen Auftrages enthält.

    Es wäre unnötig darauf hinzuweisen, daß die Festigkeit der Zurückweisung französischer Anmaßung in der Sache zugleich in der Form mit aller rücksichtsvollen Freundlichkeit umgeben gewesen ist, welche ebenso sehr den persönlichen Gewohnheiten Seiner Majestät des Königs, wie den Grundsätzen internationaler Höflichkeit gegen die Vertreter fremder Souveräne und Nationen entspricht.

    In Bezug endlich auf die Abreise unseres Botschafters bemerke ich nur, wie es dem französischen Kabinett amtlich bekannt war, daß dieselbe keine Abberufung, sondern ein von dem Botschafter aus persönlichen Rücksichten erbetener Urlaub war, bei welchem der letztere die Geschäfte dem ersten Botschaftsrat, der ihn schon öfter vertreten, übergab und dies wie üblich anzeigte. Auch die Angabe ist unwahr, daß Seine Majestät der König mir, dem unterzeichneten Bundeskanzler, von der Kandidatur des Pr[in]z[en] Leopold Mittheilung gemacht habe. Ich habe gelegentlich durch eine bei den Verhandlungen beteiligte Privatperson vertraulich Kenntnis von dem spanischen Anerbieten erhalten.

    Wenn hiernach alle von den französischen Ministern angeführten Gründe für die Unvermeidlichkeit des Krieges in nichts zerfallen und absolut aus der Luft gegriffen erscheinen, so bleibt uns leider nur die traurige Notwendigkeit, die wahren Motive in den schlechtesten und seit einem halben Jahrhundert von den Völkern und Regierungen der zivilisierten Welt gebrandmarkten Traditionen Ludwigs XIV. und des ersten Kaiserreiches zu suchen, welche eine Partei in Frankreich noch immer auf ihre Fahne schreibt, und denen Napoleon III., wie wir glaubten, bisher glücklich widerstanden hatte.

    Als bewegende Ursachen dieser bedauerlichen Erscheinung können wir leider nur die Instinkte des Hasses und der Eifersucht auf die Selbstständigkeit und Wohlfahrt Deutschlands erkennen, neben dem Bestreben, die Freiheit im eignen Land durch Verwicklung desselben in auswärtige Kriege niederzuhalten.

    Schmerzlich ist es zu denken, daß durch einen so riesenhaften Kampf, wie ihn die nationale Erbitterung und die Größe und Macht der beiden Länder in Aussicht stellt, die friedliche Entwicklung der Zivilisation und des nationalen Wohlstandes, die in steigender Blüte begriffen war, auf viele Jahre gehemmt und zurückgedrängt wird. Aber wir müssen vor Gott und Menschen die Verantwortung dafür denen überlassen, welche durch ihr frevelhaftes Beginnen uns zwingen, um der nationalen Ehre und der Freiheit Deutschlands willen den Kampf aufzunehmen; und bei einer so gerechten Sache dürfen wir vertrauensvoll auf den Beistand Gottes hoffen; wie wir schon jetzt des Beistandes der gesamten deutschen Nation durch die sich immer steigernden Zeichen der freudigen Opferwilligkeit sicher sind und auch die Zuversicht hegen dürfen, daß Frankreich für einen so mutwilligen und so rechtlos heraufbeschworenen Krieg keinen Bundesgenossen finden werde.