Brief an Bernhard von Bülow, Gastein, 31. August 1879

    Verehrtester Freund,

    Ich habe für meine Pflicht gehalten, bei großer körperlicher Schwäche und geistig entmuthigt durch die Symptome, die ich habe, die Anlage zu Papier zu bringen, und empfehle sie Ihrer pfleglichen Fürsorge, um womöglich einen Eindruck auf den Hohen Herrn sicher zu stellen. Das Schreiben wird, wie ich hoffe, am 2. Mittags in Ihren Händen sein; vielleicht finden Sie, durch mein Telegramm benachrichtigt, noch Gelegenheit dasselbe im Vortrage zum Verständniß zu bringen, sei es noch am 2ten, sei es, indem Sie Se[iner]. Majestät am 3ten eine Stunde lang begleiten. Für eigne sofortige Lesung wird es, wie ich fürchte, dem Herrn zu lang sein, und es liegt mir doch sehr viel daran, daß er den Inhalt noch in Sich aufnimmt, bevor er mit dem Zaren spricht. Die Weichheit in der Haltung unsres Herrn nach diesen zwischen Großmächten ungeheuerlichen Verletzungen betrübt mich auf das Tiefste. Das ist nicht der Weg, autokratische Uberhebungen in ihr Geleise zurückzuführen. Die Sendung Manteuffels konnte ich von hier nicht widerrathen, finde sie aber nach jenem Briefe den Verhältnissen nicht entsprechend; der älteste der Manöver-Offiziere wäre als Überbringer richtiger gewesen. Noch weniger kann ich billigen, daß der greise Monarch, nach dem drohenden Briefe, seinen Neffen auf russischem Boden in Alexandrowo aufsucht. Aber diese Fragen sind mir alle gleichgültig, wenn nur in der Sache das Nothwendige geschieht, um der Händelsucht dieser Nachbarn und dem asiatischen Übermuthe der Rathgeber des Kaisers den einzigen Damm gegenüberzustellen, der sich bietet. Sie wissen, wie schwer es mir wird, dem alten Herrn nach den Attentaten Verdruß zu machen, und ich habe seitdem Vieles auf mich genommen, was ich früher nicht gethan hätte; aber in dieser Frage, wo unsre Sicherheit auf dem Spiele steht und die Abhülfe sich in gerechter und friedlicher Weise darbietet, kann ich dem Lande und dem eignen Gewissen gegenüber meinen Namen nicht dazu geben, wenn der Kaiser eine Politik einschlagen will, die ich für verderblich, für existenzgefährlich halte. Ich kann dem Herrn, wenn er es befiehlt, noch als Rathgeber dienen, aber ich bin zu erschöpft, um mit ihm zu ringen, wenn er meinen Rath nicht annimmt, und ich habe zu viel Ehrgefühl, um der Dynastie und dem Lande verderbliche Dienste leisten zu helfen gegen meine klare und feste Überzeugung.

    Jedes neue Abkommen mit Rußland wäre auf Wind gebaut; auf den Kaiser Alexander ist kein Verlaß mehr, seine Nerven sind hin, und mögen Schwankungen oder Unaufrichtigkeit zu Grunde liegen, die Wirkung bleibt dieselbe. Auf diesen einen so leicht erregbaren Kopf können wir die Zukunft Deutschlands nicht bauen, und im ganzen weiten Rußland haben wir andre Freunde nicht. Ob die Gelegenheit, eine sichere Anlehnung an Österreich zu nehmen, die in Deutschland freudig begrüßt werden würde, sich wiederfindet, wenn wir sie heute versäumen, dafür kann ich die Verantwortung nicht tragen. Glaubt der Kaiser es zu können, so wird Se[ine]. Majestät für treue und gute Dienste, die in diesem Monate gerade 17 Jahre alt werden, nicht einen Abschluß von mir verlangen wollen, den ich nach meinem Gewissen nicht mit meinem Namen sanktioniren kann. Um gegen meine Überzeugung eine verhängnißvolle Politik zu vertreten, dazu müßte ich, selbst wenn ich es wollte, gesünder sein, als ich bin. Vor dritthalb Jahren habe ich wegen Krankheit meinen Abschied erbeten, bin aber seitdem keine Stunde arbeits- und sorgenfrei gewesen; im vorigen Jahre Krankheit, Kongreß, Sozialisten-Gesetz, Ministerkämpfe, in diesem Reichstag bis Ende Juli; dabei werde ich verbraucht, ohne darüber zu klagen, aber die wenigen Wochen zu einer Kur kann ich nicht entbehren. Mir ging es in Kissingen drei Wochen lang gut, aber in der vierten kamen die Geschäfte, und zwar solche, die mich eigentlich Nichts angehen. In den zehn Tagen, die ich hier bin, habe ich täglich ohne Rast in großer Anspannung arbeiten müssen, und meine diesjährige Kur ist zerstört. Am Meisten ist mir das Verbot nach Wien zu gehen auf die Nerven gefallen; bis zu dem Maße halte ich meine persönliche Unabhängigkeit durch den königlichen Dienst nicht gebunden. Wenn der Kaiser mich in diesem Maße an der Leine halten will, so kann den Dienst auch ein jüngerer und kräftigerer Mann an meiner Stelle besorgen. Ich bin durch die Wirkung und Friktion von Kur und Geschäften in einer Weise nervös und verbittert, die Sie aus diesen Zeilen ersehen und für die ich um Ihre Nachsicht bitte. Ich will diese Empfindungen und den Rückschlag der Gesundheit aber gern tragen, wenn nur schließlich gute und mannhafte Politik gemacht wird. Helfen Sie mir dazu und verzeihen und sekretiren Sie diesen Herzenserguß eines Kurgastes.

    Mit der Bitte mich Ihrer Frau Gemahlin freundlich zu empfehlen, stets der Ihrige