Brief an Kaiser Wilhelm I., Berlin, 15. Juni 1881

     

    Eurer Majestät hat Graf Limburg-Stirum am 7. d. Mts. vor Allerhöchstdero Abreise über die geheimen Vertragsverhandlungen zwischen den drei Kaiserhöfen allerunterthänigsten Vortrag gehalten.

    Damals bestanden, abgesehen von einzelnen Bedenken redaktioneller Bedeutung, zwei wesentlichere Differenzpunkte zwischen St. Petersburg und Wien. Eurer Majestät kann ich jetzt ehrfurchtsvoll melden, daß vollständiges Einverständniß nunmehr erzielt ist, und daß der Unterzeichnung des Vertrages hierselbst Nichts mehr im Wege steht.

    In Wien verlangte man die russische Zustimmung dazu, daß der Sandschak von Novi-Bazar ebenso nach Belieben von Österreich annektirt werden dürfe, wie Bosnien und Herzegowina. Der Kaiser Alexander III., der gegen die eventuelle Annexion von Bosnien und Herzegowina nichts einwendet, will aber für Novi-Bazar den Österreichern nicht mehr zugestehen, als was durch Seinen Herrn Vater in dem Eurer Majestät bekannten geheimen Abkommen vom 13. Juli 1878 zwischen den russischen und österreichischen Congreßbevollmächtigten Österreich wörtlich eingeräumt worden war, nämlich das Recht, den Sandschak von Novi-Bazar zu besetzen und in Verwaltung zu nehmen, weil er generell Bedenken hat, über die von dem verewigten Kaiser gemachten Zugeständnisse hinauszugehen.

    Der zweite Differenzpunkt betraf die Eventualität der Vereinigung von Bulgarien und Ostrumelien. Daß diese, wenn die Macht der Thatsachen darauf hindränge, erfolgen dürfe, hatte man in Wien dem russischen Kabinett zugestanden, aber dabei das Versprechen verlangt, man werde die Vereinigung nicht zu beschleunigen suchen, vielmehr sie hinausschieben. Diese meines Erachtens praktisch bedeutungslose Verheißung zu geben, weigerte sich das russische Kabinett; es wiederholte, daß es nicht die Absicht habe, die Vereinigung bald herbeizuführen, aber man wolle sich nicht vertragsmäßig binden. Dabei blieb man in St. Petersburg stehen, bot aber dafür eine bindende Fassung des für Österreich sehr werthvollen Versprechens, die Ausdehnung der bulgarischen Agitation auf die übrigen Provinzen der Türkei, namentlich Macedonien, hindern zu wollen.

    Ich habe, nachdem ich mich durch Rücksprachen mit Herrn Saburow von der äußersten Grenze der in Petersburg erreichbaren Zugeständnisse überzeugt hatte, dem Baron Haymerle die definitive Annahme dessen, worüber Einverständniß zu erzielen war, durch Eurer Majestät Botschafter empfehlen lassen, und es ist dem Prinzen Reuß gelungen, die vielen kleinlichen Bedenken des österreichischen Ministers durch den Hinweis darauf zu beschwichtigen, daß eine fernere Verschleppung des Vertragsabschlusses das schon erwachte Mißtrauen des Kaiser Alexander gegen Österreich steigern und den revolutionären friedensfeindlichen Bestrebungen in Petersburg den Erfolg erleichtern müsse.

    Ich bedarf nun, um mit den hiesigen bevollmächtigten Botschaftern Ihrer Majestäten des Kaisers von Österreich-Ungarn und Rußland den Vertrag, dessen schließlichen Entwurf ich Eurer Majestät ehrfurchtsvoll zu überreichen mir gestatte, unterzeichnen zu können, einer allerhöchsten formellen Ermächtigung. Eure Majestät wage ich daher um huldreiche Vollziehung der anliegenden Vollmacht und um allergnädigste direkte Rücksendung derselben zu bitten.

    In dieser Beziehung darf ich ehrfurchtsvoll melden, daß Graf Szechenyi bereits im Besitz seiner Vollmacht ist, und daß Herr Saburoff die seinige morgen erwartet, so daß die Unterzeichnung des Vertrages am Sonnabend stattfinden könnte, wenn ich bis dahin im Besitz der allerhöchsten Vollmacht bin.

    Eurer Majestät habe ich gewagt, diesen allerunterthänigsten Bericht zur allerhöchsten eigenhändigen Eröffnung zugehen zu lassen, weil ich auf Verlangen des russischen Cabinets, dem das österreichische sich in dringlicher Weise angeschlossen hat, das Versprechen gegeben hatte, keine Kanzleien und nur die zur Bewältigung der Arbeiten unentbehrlichen höheren Beamten in das Geheimnis zu ziehen. Dementsprechend kennt der Gesandte von Bülow die Verhandlungen bisher nicht, ebensowenig weiß irgendein Subalternbeamter von denselben.

    Nach meinem ehrfurchtsvollen Dafürhalten ist das Zustandekommen dieses Vertrages, welcher, obschon gerade Österreich das stärkste Interesse an der Erhaltung des Friedens hat, doch durch die wenig geschickte und noch weniger staatsmännische Behandlung der Sache durch Baron Haymerle fast gescheitert wäre, ein sehr erfreulicher Zuwachs zu den Bürgschaften des allgemeinen Friedens. Für Eurer Majestät Politik ist es immer eine besonders wichtige Aufgabe, den Frieden zwischen den beiden uns benachbarten und befreundeten großen Monarchien zu erhalten. Jeder Bruch zwischen ihnen würde uns in die schwierige Lage bringen, die Feindschaft des einen direkt auf uns zu nehmen oder es mit beiden zu verderben, und würde außerdem die Festigkeit des monarchischen Princips in Europa dem revolutionären gegenüber wesentlich erschüttern.

    Da der Kaiser Alexander für einen Monarchen gilt, auf dessen Wort sicher gebaut werden kann, so dürfen wir den Frieden unserer beiden Nachbarn auf Jahre hinaus als gesichert ansehen. Außerdem aber wird für Deutschland die Gefahr einer französisch-russischen Coalition vollständig beseitigt und dadurch das friedliche Verhalten Frankreichs gegen uns so gut wie verbürgt; ebenso wird den Versuchen der deutschfeindlichen Kriegs-Partei in Rußland, Einfluß auf die Entschließungen des jungen Kaisers zu gewinnen, durch das gegebene Wort des Letzteren der Boden entzogen.

    Ich zweifle nicht, daß nach Ablauf der drei Jahre, für welche der Vertrag zunächst gelten soll, für alle drei Kaiserhöfe, jedenfalls aber für Deutschland und Rußland eine weitere Verlängerung dieses Abkommens zu erreichen sein wird. Eurer Majestät kann ich daher die Genehmigung des zwischen den beiden anderen Kaiserhöfen hergestellten Übereinkommens aus voller Überzeugung ehrfurchtsvoll empfehlen.