Motive, Berlin, 14. Januar 1889
    Angeschlossen an den „Entwurf eines Gesetzes betr. Den Schutz der deutschen Interessen und Bekämpfung des Sklavenhandels in Ostafrika“, der Kaiser Wilhelm II. mit Datum vom 15. Januar 1889 übersandt wurde.

     

    Die leitenden Grundsätze der Deutschen Kolonial-Politik, wie sie 1884 und 1885 in amtlicher Erörterung die Zustimmung des Reichstages erhalten haben, bilden auch gegenwärtig die Richtschnur für das Verhalten der Kaiserlichen Regierung bei überseeischen Unternehmungen von Reichsangehörigen. In Folge derselben ist dem Reich keine Verpflichtung angesonnen worden, deutsche Unternehmer in überseeischen Ländern bei Verlusten schadlos zu halten, oder ihnen günstige Ergebnisse auf wirthschaftlichem Gebiete zu sichern. Die Vortheile, welche der Schutz des Reiches den Reichsangehörigen gewährt, welche uncivilisirte Gebiete in fremden Welttheilen zu kolonisiren beabsichtigen, liegen hauptsächlich in der Sicherstellung des zu kolonisirenden Gebietes gegen Störungen und Eingriffe anderer Kolonialmächte. Die Intervention des Reiches kann in der Regel nur anderen auswärtigen Mächten gegenüber zur Geltung kommen, während die Bewältigung des Widerstrebens wilder Eingeborener und anderer in der Beschaffenheit des zu kolonisirenden Landes liegender natürlicher und lokaler Hindernisse Aufgabe der Unternehmer bleiben muß. Auf diesem Gebiete kann außerhalb des Bereichs unserer maritimen Streitkräfte kolonialen Unternehmungen eine materielle Unterstützung nicht geleistet werden.

    Desgleichen gehört es nicht in das Programm der Deutschen Kolonial-Politik, für die Herstellung staatlicher Einrichtungen unter barbarischen Völkerschaften einzutreten und dort eine unsern Anschauungen entsprechende Ordnung der Verwaltung und Justiz herzustellen.

    Dagegen hat Deutschland in seinen afrikanischen Niederlassungen schon durch die unter Theilnahme des Reichs erfolgten Beschlüsse der Congo-Konferenz in Gemeinschaft mit anderen europäischen Nationen die Ehrenpflicht übernommen, sich an der Civilisirung Afrika’s in gleicher Linie mit den anderen Großmächten Europa’s zu betheiligen. Die Erfüllung dieser nationalen Ehrenpflicht ist uns seitdem praktisch näher getreten durch die Besitznahme eines beträchtlichen Theiles von Afrika unter Deutschem Schutze. Die erste Vorbedingung für das Gelingen civilisatorischer Bestrebungen ist aber die Abstellung der Sklavenausfuhr und der damit verbundenen Jagden und Kriege, welche das Material für den Menschenhandel liefern. Solange dieser Handel und seine brutalen Gewaltthaten bestehn, fehlen Afrika die Existenzbedingungen eines menschlichen Kulturlebens. Im engen Zusammenhange mit dem Sklavenhandel steht die innerafrikanische Bewegung, wie sie in den Kriegen des Mahdi und den Angriffen auf europäische Ansiedelungen und Missionen am oberen Congo, an den afrikanischen Binnenseen und anderen Gebieten Central-Afrika’s zu Tage getreten ist.

    An der Bekämpfung dieser dem Christenthum und der europäischen Civilisation unversöhnlich feindlichen Elemente, im Einverständniß mit anderen christlichen Mächten mitzuwirken, ist durch den deutschen Mitbesitz an Afrika zu einer Ehrenpflicht des Reiches geworden. Die ostafrikanische Gesellschaft ist ein Organ, durch welches diese Aufgabe der Nation zunächst wahrgenommen werden kann, und ihr 50jähriger Vertrag mit dem Sultan giebt ihr die Handhabe, auf den für Deutsche reservirten weiten Gebieten im Sinne dieser Aufgabe thätig zu sein. In dieser ihrer Stellung liegt ihr Anspruch auf Unterstützung durch das Reich behufs Abwehr der Angriffe auf die Deutschen Niederlassungen an der Zanzibarküste.

    Die Regierung Seiner Majestät des Kaisers hat daher, wie aus der dem Bundesrath und Reichstag vorgelegten Sammlung von Aktenstücken über den Aufstand in Ostafrika ersichtlich ist, zunächst in Gemeinschaft mit England und Italien über die zu den Besitzungen des Sultans von Zanzibar gehörige Küste des ostafrikanischen Festlandes eine Blockade verhängt, und sich gleichzeitig an andere bei der Erschließung Afrika’s für christliche Kultur und Gesittung interessirten Nationen Europa’s gewandt, um durch gemeinschaftliche Maßregeln den Raubzügen und Verwüstungen der arabischen Sklavenjäger entgegenzutreten.

    Der Reichstag hat in seiner Plenarsitzung vom 14. Dezember v. J. eine Resolution beschlossen, worin derselbe unter Bezugnahme auf die Allerhöchsten Worte der Thronrede die Ueberzeugung ausspricht, daß die Aufgabe, Afrika für christliche Gesittung zu gewinnen, mit der Bekämpfung des Negerhandels und der Sklavenjagden beginnen müsse. In der Resolution ist ferner die Bereitwilligkeit des Reichstags ausgesprochen, die von den verbündeten Regierungen zu diesem Zweck vorzuschlagenden Maßregeln in Erwägung zu ziehen und zu unterstützen.

    Der unter dem 28. April v. J. zwischen dem Sultan von Zanzibar und der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft abgeschlossene, in dem Weißbuch über Ostafrika mitgetheilte Vertrag, durch welchen der Gesellschaft die gesammte Verwaltung in den festländischen Besitzungen Seiner Hoheit südlich vom Umbafluß übertragen ist, hat in Folge des erwähnten Aufstandes bisher nicht vollständig zur Ausführung gelangen können. Die Macht des Sultans hat sich nicht als ausreichend erwiesen, um, dem Vertrage entsprechend, die Gesellschaft bei Ausübung der ihr gewährten Rechte wirksam zu unterstützen und die Gesellschaft selbst verfügt nicht über die nöthigen Mittel, um sich der Angriffe der arabischen Sklavenhändler auf allen Küstenpunkten zu erwehren.

    Ohne eine Unterstützung durch das Reich wird unter diesen Umständen die Aufgabe der Betheiligung Deutschlands an der culturellen Arbeit der Gesittung Afrikas von der „ostafrikanischen Gesellschaft“ nicht gelöst werden können. Um die angemessene Verwendung der vom Reiche zu gewährenden Mittel zu überwachen und zu sichern, wird es erforderlich sein, einen Kommissar der Reichsgesellschaft zu ernennen und nach Zanzibar zu entsenden, welcher mit den erforderlichen Vollmachten ausgestattet ist, um in den unter deutsche Verwaltung gestellten Besitzungen des Sultans von Zanzibar und in den benachbarten Gebieten die zur Bekämpfung der aufrührerischen Sklavenhändler erforderlichen Maßregeln zu überwachen.

    Nachdem durch Verhängung der Blockade über das Festland-Gebiet von Zanzibar Schiffe der Kaiserlichen Marine in Gemeinschaft mit englischen, italienischen und portugiesischen Kriegsschiffen beschäftigt sind, Waffen- und Munitions-Zufuhren abzuschneiden und die Sklaven-Ausfuhr zu verhindern, wird zur Herstellung und Erhaltung der Sicherheit und Ordnung vor Allem die Anwerbung einer einheimischen Polizeimacht von ausreichender Stärke erforderlich sein.

    Ueber sonstige Verwendungen wird die kaiserliche Regierung im Laufe der Verhandlungen des Reichstages sich vertraulich zu äußern bereit sein.

    Nach § 41 des Statuts der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft wird die Aufsicht über die Gesellschaft von dem Reichskanzler geführt und ist nach § 42 darauf zu richten, daß die Geschäftsführung den statutarischen Zwecken der Gesellschaft entspricht und im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften erfolgt. Als Organ der Aufsichtsbehörde fungirte bisher ein vom Reichskanzler bestellter Kommissar in Berlin mit den im § 41 des Statuts erwähnten Befugnissen. Es hat sich jedoch das Bedürfniß ergeben, zur Ueberwachung der Thätigkeit der Gesellschaft in Ost-Afrika und namentlich auch in den der Gesellschafts-Verwaltung durch Vertrag mit dem Sultan von Zanzibar vom 28. April v. J. unterstellten Gebieten, ein ständiges politisches Aufsichts-Organ des Reichs an Ort und Stelle zu besitzen, welches den dortigen Vertretern der Gesellschaft gegenüber mit durchgreifender Autorität ausgestattet ist. Die bisher in dieser Richtung von dem Kaiserlichen Generalkonsul in Zanzibar ausgeübte Einwirkung hat sich nicht als ausreichend erwiesen, um Irrungen zu verhüten und internationalen Verwickelungen vorzubeugen. Dem durch das Gesetz in Vorschlag gebrachten Reichskommissar für Ostafrika wird daher insbesondere auch das Recht zustehen müssen, die von der Gesellschaft auf Grund der ihr vom Sultan übertragenen Ausübung der Landeshoheit für das ostafrikanische Küstengebiet erlassenen Verordnungen und Reglements außer Kraft zu setzen oder Abänderungen derselben zu verlangen, sowie die Entfernung bezw. Ersetzung der dort angestellten Beamten der Gesellschaft herbeizuführen. Eine staatliche Einmischung in die wirthschaftlichen Angelegenheiten oder in die Zollerhebung der Gesellschaft ist nicht beabsichtigt. Um die Kompetenz des Reichskommissars nach allen Seiten hin festzustellen, sind Verhandlungen mit dem Direktionsrath der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft eingeleitet und ist eine Verständigung mit dem Sultan von Zanzibar in Aussicht genommen.

    Für die Ausführung des vorstehenden Aktionsprogramms ist nach einem detaillirten, von sachverständiger Seite ausgearbeiteten Kostenanschlag die Summe von 2 Millionen Mark erforderlich. Es kommen hierbei nicht in Betracht die Kosten der Stationirung der Kriegsschiffe an der ostafrikanischen Küste, welche bei den Fonds der Marine-Verwaltung nachgewiesen werden. Die veranschlagten Kosten umfassen außer denjenigen der erstmaligen Organisation die laufenden Ausgaben bis 1. April 1890.

    Etwa fernerhin noch erwachsende Ausgaben würden in dem Etat des betreffenden Rechnungsjahres vorzusehen sein.

    Vorbehalten bleibt die demnächstige Erstattung der durch die beabsichtigten Maßnahmen erwachsenden Kosten aus den Einkünften des ostafrikanischen Gebiets in der Voraussetzung günstiger Entwicklung des Unternehmens.